schreckenbergschreibt: Sex

Nein, das ist kein Versuch, Traffic auf meinen Blog zu ziehen. „Sex“ ist – wenn man Google glauben darf (und wohin kämen wir, wenn man den Monopolisten dieser Welt nicht mehr trauen könnte) – schon lange kein Top-Suchwort mehr. Wollte ich Massenbesuche auf dieser Seite generiern, müsste ich vermutlich Dinge wie „EM 2012“, „Griechenland“ oder „Venustransit“ schreiben. Ich schreibe aber nicht „EM 2012“, „Griechenland“ oder „Venustransit“. Wie käme ich dazu, „EM 2012“, „Griechenland“ oder „Venustransit“ zu schreiben – das hat ja gar nichts mit dem heutigen Thema des Blogs zu tun. Denn hier geht es heute um Sex – bzw. darum, warum und wie ich ihn in meine Bücher einbaue. Und was immer der oder die eine oder andere befürchten oder hoffen mag: Die heutige Rubrik ist „schreckenbergschreibt“. Nicht „schreckenberglebt“. 😉

Im Rahmen meines zweiten Radiointerviews zum „Finder“ fragte mich Ralf Krieger von Radio Wuppertal sinngemäß, ob man heute Sexszenen im Buch unterbringen müsse, um gelesen zu werden. Ich war ob dieser Frage kurz perplex (ich glaube, man hört es bei der Antwort 😀 ). Aber sie kommt in der einen oder anderen Form immer wieder, und sie erstaunt mich jedes Mal. Es ist schon richtig, der Finder enthält einige Sexszenen, aber sie sind nun nicht besonders explizit (das war mal anders, aber dazu weiter unten), finde ich zumindest. Und die Idee, dass jemand ein Buch – also einen belletristischen Roman – wegen der darin enthaltenen Sexszenen kaufen könnte ist mir tatsächlich noch nie gekommen. Vielleicht kommt irgendwann mal jemand auf die Idee, eine wissenschaftliche Hausarbeit mit dem Titel „Der Geschlechtsverkehr in der literarischen Reflexion des Bergischen Landes – eine vergleichende Studie der Werke von Oliver Buslau, Andreas Schmidt und Michael Schreckenberg“ oder so ähnlich zu schreiben, der muss die Bücher natürlich deswegen lesen. Aber sonst? Wer sich meine Bücher aus voyeuristischen Motiven kauft dürfte, trotz allem, ziemlich enttäuscht werden. Und damit keine Missverständnisse aufkommen: Auch Oliver und Andreas setzen DEUTLICH andere Schwerpunkte. 😉

Warum also haben meine Figuren Sex? Nun, zunächst einmal: Warum nicht? Sie essen ja auch. In meinen Romanen tauchen regelmäßig Liebespaare auf. In den meisten Fällen verlieben sich meine Protagonisten im Laufe der Handlung und beginnen eine Beziehung. Das zu beschreiben ohne Sexszenen einzubauen käme mir in hohem Maße unnatürlich vor. Und ich schreibe keine Bücher für Kinder. Ich schreibe Krimis und phantastische Literatur und wende mich an ein erwachsenes Publikum, meine Bücher sind entsprechend, vom philosophischen Hintergrund bis zur Schilderung von Gewalt. Warum sollte ich ausgerechnet beim Sex (also bei dem angenehmen Teil der Erwachsenenthematik) eine Ausnahme machen? Ich halte es also für völlig selbstverständlich, dass ich das schildere.

Es gibt aber auch ganz praktische Gründe, Liebesszenen (körperliche) in einen Roman einzubauen. In der vertrauten und entspannten Stimmung nach dem Sex ergeben sich, meiner Erfahrung nach (Mist, ich wollte doch nicht… aber detailierter wird es nicht, versprochen), oft sehr gute und tiefgründige Gespräche, auch und gerade unter Neuverliebten. Man lernt sich im Bett eben nicht nur körperlich sehr genau kennen. Von daher ist eine Bettszene der einen Art eine gute Einleitung für eine Bettszene der anderen Art (bei der Überarbeitung einer frühen Version des „Finders“ habe ich selbst an den Rand geschrieben: „Reden Daniel und Esther überhaupt miteinander, ohne vorher miteinander geschlafen zu haben?“ Man sieht – es kann auch zuviel des Guten sein und Überarbeitung ist IMMER wichtig. 😉 ).

Dann ist Sex natürlich ein wichtiges dramaturgisches Hilfsmittel und ein 1a Katalysator. Wenn ich eine beginnende Beziehung beschreibe, eignet sich der erste Sex wunderbar um den Punkt zu setzen, an dem die Liebenden sich als Paar betrachten. Im wirklichen Leben und in Liebesproblemromanen mag das anders sein, zuweilen beginnen an dem Punkt ja erst die Probleme, aber ich schreibe eben in Genres, in denen das nicht das Hauptthema ist – und die Leser verstehen meist, wo die Figuren an dem Punkt sind ohne, dass ich es umständlich erklären müsste. Miteinander zu schlafen, insbesondere zum ersten Mal miteinander zu schlafen, ist auch immer das Überschreiten einer Grenze, was im Roman auch das Überschreiten irgend einer anderen Grenze symbolisieren kann. Die Art des Sexes kann eine Menge unterschiedlicher Emotionen viel besser darstellen als irgendeine langatmige Beschreibung oder ein innerer Monolog. Wie Menschen im Bett (oder wo auch immer) miteinander umgehen kann sehr schnell und deutlich zeigen, wie sie zueinander stehen und wie es um ihre Beziehung bestellt ist. Selbst der deutlich Verzicht auf Sex kann einen wichtigen Punkt markieren, so etwa bei Britt und Philip im „Ruf“ – in deutlicher Abgrenzung zu Kat und Stephan. Die Beziehungen sind unterschiedlich und unterschiedlich angelegt. Und das Britt und Philip eben nicht miteinander schlafen (obwohl sie beide eigentlich nichts dagegen hätten) verdeutlich einen Aspekt davon. Hoffe ich 😀 .

Wie schreibt man nun aber eine SEXSZENE (für andere Szenen mögen die folgenden Regeln ganz falsch sein)? Ich kann nur sagen, wie ich sie schreibe – wer meint, dass ich die entsprechenden Situationen gut und angemessen schildere möge sich die folgenden Regeln gerne aneignen – wer nicht, möge von mir aus genau entgegengesetzt handeln.

1.) Less is more.

2.) Keine Pflanzen- oder Tiermetaphern! NIEMALS! Da öffnet sich nichts wie irgendein Bestandteil irgendeines Gewächses, da erblüht nichts und wird nichts bestäubt. Nichts und niemand bewegt sich wie eine Pantherkatze oder ein Regenwurm. NICHTS! NIEMAND! NIEMALS! Wer je so eine Liebesszene gelesen hat wird mir beipflichten. Brrr!

3.) Bleibe bei dem, was Du kennst. Vertraut mir – ich habe die andere Seite gesehen. Ich habe in meiner Pubertät Romane geschrieben… aber die will niemand lesen. Und niemand wird je. Und ich hatte nichtmal das Internet und die grauenvolle Möglichkeit, dort zu recherchieren und das mit dem wahren Leben zu verwechseln. Das Problem mit Sex (im Gegensatz zu Weltraumflügen oder Serienmorden zum Beispiel) ist, dass vermutlich die allermeisten Leserinnen und Leser wissen, wie das geht und wie es sich anfühlt. Wenn also das Leben so fies ist, das literarische Tun vor dem sexuellen beginnen zu lassen, so übe der/die Literat(in) Enthaltsamkeit in der Schilderung von Details. Genauso wie es absolut legitim ist, Sexszenen zu schreiben, ist es legitim, statt dessen irgendeine Version des simplen Satzes „Wir schliefen miteinander.“ zu schreiben. Er erfüllt sogar einige, wenn auch nicht alle der oben beschriebenen, nützlichen Funktionen. Nur ein Tipp und eine Bitte. Der Tipp: Beendet keine fünfseitige Beschreibung eines romantischen Abends und aufkommender erotischer Spannung mit dem Satz: „Dann hatten sie Sex.“ Die rein faktische Beschreibung ist, wenn nicht alles sehr unterkühlt rüberkommen soll (auch das kann ja gut sein) eher etwas für die Rückschau. Fünf Seiten Romantik und Spannung – cut – nächster Morgen, ohne Beschreibung dessen, was da genau passiert ist. Kann sehr schön sein. Und nun die Bitte: Schreibt nicht „Liebe machen“. Bitte, bitte, bitte! Danke.

4.) Bleib bei dem was Du kennst! Wirklich! Du bist der größte Womanizer oder die größte – wie nennt man das – Manizerin? – der Stadt? Fein, das garantiert Dir eine gewisse Bandbreite in der Beschreibung. Wenn Du Dich aber außerhalb dieser Bandbreite begeben willst – dann recherchiere oder lass es. Und mit Recherche meine ich vor allem Recherchegespräche! Ein einfaches Beispiel – ich bin heterosexuell. Wenn ich nun eine homosexuelle Liebe beschreiben will, dann muss ich mich entweder in der Beschreibung der Körperlichkeit beschränken – oder jemanden fragen, der sich damit auskennt. Es wäre nicht schlecht, wenn vorher eine gewissen Vertrauensbasis bestünde….

5.) Oben steht „less is more“. Das gilt für die letzte Version! Vorher ist das etwas anderes. Die allererste Version des „Finders“ zum Beispiel war regelrecht pornographisch. Das war aber keine Panne, das war gewollt, mir war klar, dass das nie und nimmer die Version für die Öffentlichkeit (oder auch nur für einen Verlagslektor) sein wird. Aber wenn man für sich selbst einmal klar hat, was da geschieht, dann kann man es wunderbar zusammenstreichen. Mir war ganz klar, dass ich meine Leser nicht an meinem Kopfkino teil haben lassen, sondern ihnen das eigene ermöglichen wollte. Aber wenn ich Andeutungen schreiben möchte, die jede(r) mit seinen / ihren eigenen Phantasien füllen kann, dann sollte ich erst einmal wissen, was ich für mich andeuten möchte. Diese Regel ist außerdem sehr nützlich, wenn man unter Einfluss von Glückshormonen schreibt, weil man zum Beispiel gerade selbst verliebt ist. Verliebte neigen zu fürchterlichem verliebten Geplapper und schmeißen mit Details um sich, die niemand braucht. Manchmal etwas peinlich im echten Leben, aber kein Problem für Literaten. Immer gib Details, immer gib! Vergiss nur nicht, die entsprechenden Stellen mit kühlem Kopf zu überarbeiten – und höre auf den Rat von Freunden, die Deine Texte probelesen und gerade nicht so hormongebadet sind wie Du selbst.

6.) Verliere niemals den Respekt vor Deinen Figuren.

7.) Verliere NIEMALS den Respekt vor Deinen Figuren!

Und um nochmal zur Ausgangsfrage zurückzukommen: Muss man heute Sexszenen beschreiben, damit ein Buch Leser findet? Ich denke: Nein. Aber ich werde es trotzdem nicht unterlassen. 😉

 

 

Über Mountfright

Autor und Öffentlichkeitsarbeiter, Mann und Vater, Leser und Filmfreak. Kindheit in den 1970ern, weswegen mich bis heute seltsame Musik mit Ohrwürmern plagt. Aufgewachsen in den 80er Jahren, einem Jahrzehnt, das nicht halb so grau war, wie die anderen glauben. Erste Kurzgeschichte mit 13, erster echter Romanversuch (nach pubertären Ausfällen) mit 17, die nachfolgende Schreibblockade habe ich mir mit Songtexten für die Kölner Psychobillyband "Boozehounds" vertrieben. Danach ging es wieder: Erster lesenswerter Roman mit 26, seither nicht mehr aufgehört.
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