Gestern und vorgestern habe ich, gemeinsam mit meinem ältesten Kind, „The Haunting of Bly Manor“ geschaut, die zweite Staffel der Haunting-Reihe von Mike Flanagan. Vor zwei Jahren habe ich die erste Staffel gesehen, „The Haunting of Hill House“, und ich wollte hier immer mal wieder darüber schreiben, habe es aber nie getan. Zuerst, weil mir das buchstäblich letzte Wort aus „Hill House“ fast die ganze Serie verdorben hätte. Dann aber hat mich besagtes ältestes Kind darauf hingewiesen, dass dieses Wort von einer Figur gesprochen wird, die ein Musterbeispiel für einen unzuverlässigen Erzähler ist. Und ja, dann ergibt es Sinn und ja, dann ist die Serie auch nicht verdorben. Puh. Denn „The Haunting of Hill House“ ist in sehr vieler Hinsicht eine ganz großartige Serie* und das selbe gilt für „The Haunting of Bly Manor“.
Ich werde versuchen, so wenig wie möglich zu spoilern und verzichte daher auf Inhaltsbeschreibungen. Um den Artikel voll verstehen zu können, müsst Ihr, so vermute ich, also die Serien kennen, aber hey – Werbung für sie zu machen ist hier eindeutig auch Sinn des Textes. 😀 Zu den Inhalten nur soviel: Die beiden Staffeln sind unabhängig voneinander und folgen beide extrem lose literarischen Vorlagen, die schon einmal zu echten Horrorklassikern verfilmt wurden. „Hill House“ basiert auf „The Haunting of Hill House“ von Shirley Jackson, ikonisch verfilmt als „The Haunting“. Vorlage für „Bly Manor“ ist Henry James‘ „The Turn of the Screw“, Vorlage für den sehr sehenswerten Film „The Innocents“ (ich mag beide Filme, bevorzuge aber „The Innocents“). Mit beiden Serien schafft es Flanagan, sehr respektvoll mit den Vorlagen (Texte wie Filme) unzugehen, und sich gleichzeitig so viel Freiheit zu nehmen, dass die Adaptionen von den Originalen sehr weit entfernt sind. Das muss man erstmal hinbekommen. Nettes Gimmik obendrauf: Jede Episode von „Bly Manor“ hat den Titel eines Werkes von Henry James.
Und damit bin ich schon in der Bewertung. Ich habe oben gesagt, beide Serien seien in vieler Weise großartig. Die vordergründigste ist für mich, als Drehbuch- und Belletristikautor, dass sie gute Beispiele dafür sind, wie man wunderbare, charaktergetriebene Horrorgeschichten schreiben kann. Geschichten mit Tiefe, die berühren, wenn man über sie nachdenkt, auch Stunden oder gar Jahre nachdem der letzte Jumpscare überstanden ist.
Ich unterscheide prinzipiell zwei Arten von Horrorgeschichten. Die einen bedienen vor allem die Lust am schnellen Thrill, sei es jetzt am Adrenalinkick (Jumpscares), am Ekel (Blood and Gore) oder am angeblichen Blick in angebliche Abgründe (Evilevilantagonist). Da es um Lust geht, verbindet man das gerne noch mit irgendeiner Form von Sex, den die Autor*innen für besonders verrucht halten und fertig ist der Genreklassiker. Naja.
Ich will dieser Form von Horrorgeschichte nicht ihre Berechtigung absprechen, das steht mir sowieso nicht zu. Manche Geschichten dieser Art mag ich sogar, zum Beispiel „Final Destination“. Aber diese Geschichten sind… naja, einfach. Sie drücken ein paar Knöpfe in unseren Instinkten und funktionieren für einen Moment. Und danach sind sie weg. Wenn ich über „Final Destination“ 1 und 2 nachdenke, dann denke ich an zwei Feelgoodmovies. Ein bisschen Grusel, ein bisschen Komik, das war’s. Und das sind die BESSEREN Geschichten dieser Art. Bei den schlechteren (zum Beispiel „Final Destination“ ab Film Nr. 3, aber auch „American Horror Story“ oder, Gott bewahre, Machwerken wie „German Angst“ oder „Midsomar“) versuchen verzweifelte Autor*innen, einen Knopf auf den anderen zu türmen und bewirken nur, dass man, halbtotgelangweilt, zu müde ist, um noch zu reagieren, wenn sie darauf herumpatschen. Selbst die besten Geschichten dieser Art ähneln gutem Fastfood: Im Moment superlecker, weil alle Geschmacksknospen versorgt werden und der hungrige Bauch sich füllt – aber eine Stunde später hat man schon wieder Hunger, weil das Pappfutter eben nicht nachhaltig sättigen kann.
Gute Horrorgeschichten haben mit Feelgood nichts zu tun. Sie drücken auch Knöpfe, manchmal, aber das sind nur freundliche Geschenke an den Wunsch nach Thrill. Damit das Ganze nicht allzu düster ist. Ich HASSE Jumpscares, aber die Jumpscares in „The Haunting of Hill House“ sind in Wirklichkeit Momente der Erleichterung, sie lenken für einen Moment von der Geschichte ab, die wir erzählt bekommen. Denn diese Geschichten sagen nichts Tröstliches wie: „Wenn Du Pech hast und von bösen Hillbillys zerstückelt wirst, dann spritzt soooooo viel Blut, und wenn Du in Anwesenheit von irren Kultmitgliedern von einer Klippe springst, dann kann es sein, dass sie Dir mit ihren Hämmern den Gnadenklopp geben müssen, aber hey – wie wahrscheinlich ist das denn? Nimm noch ein bisschen Popcorn und genieße die Fahrt, Dir kann nichts passieren, alles wird gut.“
Gute Horrorgeschichten sagen: „Du bist sterblich. Alle, die Du liebst sind sterblich. Du wirst Verlust erleiden, und am Ende stirbst Du selbst, und irgendwann bist Du vergessen und vergangen – und alles, was Du je geliebt hast, ebenso. Am Ende ist nichts als eine große, dunkle Ungewissheit. Das ist die unausweichliche Wahrheit. Popcorn?“
Es gibt eine Menge „Horrorfans“, die sich auf solche Geschichte nicht einlassen wollen oder können und sich lieber nett erschrecken lassen. Schade, denn was viele dieser Geschichten auch sagen ist: „Angesichts dieses unausweichlichen Grauens sind die paar warmen Orte, die wir uns schaffen können, Liebe, Freundschaft, unendlich wertvoll. Zynismus, ist etwas für die Schwachen und Ängstlichen.“
Es wird Euch nicht allzusehr überraschen, dass die beiden „The Haunting…“ Serien für mich in die bessere Kategorie gehören. Ich will nicht damit anfangen, was der / die Autor*innen uns wohl sagen wollen, wer mit mir auch nur einmal zehn Minuten übers Schreiben gesprochen hat weiß, was ich von der „Intention des Autors“ halte. Für MICH ist „Hill House“ eine Geschichte über Verlust und Trauer, „Bly Manor“ eine Geschichte über die eigene Sterblichkeit und den eigenen Tod. Dazu passt, dass der Antagonist in „Hill House“ letztlich unbegreiflich und unerklärt bleibt, das Haus selbst eben. Deshalb ist die Vorgeschichte der einzelnen Figuren hier auch viel wichtiger als das, was im Haus geschehen ist, und wer wie ihm zuvor zum Opfer gefallen ist. In Bly Manor dagegen ist die Antagonistin – trotz allen Grauens – gut zu begreifen, ihre Geschichte und die Geschichte ihres Vergehens und ihrer Reduktion werden ausführlich erzählt und sind der Schlüssel zum Verständnis der Staffel. Alle anderen Rückblenden dienen nur dem Verständnis der Figuren, die teils lebendige Menschen und Teils Geister sind und eben erklärt werden müssen, damit wir sie verstehen können.
Entsprechend unterschiedlich sind die Atmosphäre und die Erzählweise der beiden Staffeln. „Hill House“ beginnt mit Panik und Entsetzen und brennt – bei aller Tiefe der Geschichte – ein Feuerwerk des Horrors ab. „Bly Manor“ beginnt heimelig und idyllisch. Natürlich ist das eine Täuschung, von Beginn an, aber wir begreifen erst nach und nach, was wir da alles sehen ohne es zu sehen (und nein, damit meine ich nicht die versteckten Geister, die es auch in Bly Manor reichlich gibt 😀 ). Wenn Hill House ein Feuerwerk ist, dann ist Bly Manor ein gutes, starkes Lagerfeuer, von dem uns klar ist, dass es ausbrechen und alles verbrennen kann, wenn wir es nicht einhegen. Oder anders: Weniger Jumpscares aber dafür… naja, eben mehr unterliegender Schrecken.
Am Ende von Bly Manor sagt jemand, das sei gar keine Spuk- sondern eine Liebesgeschichte. Das stimmt nur insofern nicht, als das kein Gegensatz ist – siehe oben. Angesichts des unausweichlichen Grauens (und das gilt für beide Serien) ist Liebe, jede Art von Liebe, die einzige Rettung.
Noch drei kurze Bemerkungen:
1.) Beide Serien, besonders aber Bly Manor, denken die Idee des „Geistes“, was ein Geist ist, was er wird und wie er sein Geistsein selbst begreift und was sich daraus für Konsequenzen ergeben, besser zu Ende als alle anderen Geistergeschichten die ich kenne, Meisterwerke (dahingehend) wie „The Sixth Sense“ und „The Others“ eingeschlossen.
2.) Beide Serien sind sehr schöne Beispiele für LGBT-Repräsentation.
3.) Achtet bei Bly Manor auf die Anspielungen auf die erste Staffel. Das macht Spaß. 😀
*Dass ich trotzdem unterdessen nichts dazu geschrieben habe liegt daran, dass ich ein Musterbeispiel für einen unzuverlässigen Blogautor bin.
Klingt interessant – gesehen habe ich sie noch nicht… Zustimmung von mir auch für Final Destination (1+2)… Midsomar fand ich in der Tat nicht nur nicht übel, sondern gut. Aber so ist es halt mit den Genres – dem einen gefällt’s, dem anderen nicht. 🙂
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