schreckenberglebt: Lumpumpum und andere schwierige Worte

Ich gehe auf die 50 zu. In meiner Jugend haben wir Worte ganz selbstverständlich benutzt, die heute nicht mehr selbstverständlich sind und / oder von denen uns ganze Menschengruppen bitten, sie nicht mehr zu verwenden, weil sie sie als verletztend, beleidigend etc. empfinden. Ihr wisst schon: Worte mit N, Worte mit T, Worte für Schnitzel mit Paprikasoße. Und viele Menschen scheinen mit dieser Bitte ein Problem zu haben.

Ich verstehe dieses Problem nicht.

Nehmen wir ein völlig neutrales, weil erfundenes Wort: Lumpumpum. Es gibt viele Menschen, die ich als Lumpumpum bezeichne, ich selbst bin aber keiner davon.

Fall 1: Ich bin gewohnt, bestimmte Menschen als Lumpumpum zu bezeichnen. Noch nie hat irgend jemand das als problematisch empfunden oder mir gegenüber die Bitte geäußert, das zu unterlassen. Nun kommt eine einzelne Person (die ich klar als Lumpumpum bezeichnen würde) auf mich zu und bittet mich, sie nicht mehr so zu nennen. Aufgrund persönlicher Verletzungen und Erlebnisse ist das Wort für sie sehr negativ besetzt, verletzt sie, triggert womöglich alte Traumata. Werde ich dieser Bitte nachkommen?
Ja, sicher. Warum zum Teufel denn nicht? Wieso sollte ich diese Person wissentlich verletzen? Welchen Grund gibt es, kein Synonym zu benutzen? Und wenn es kein Synonym gibt – warum keine Umschreibung? Ich nenne diese Person nicht mehr Lumpumpum, alle anderen Lumpumpums aber weiterhin. Wo ist das Problem. *

Fall 2: Neuerdings (also… für MICH neuerdings) möchte eine ganze Menschengruppe nicht mehr als Lumpumpum** bezeichnet werden. Werde ich dieser Bitte nachkommen?
Ebenfalls: Ja sicher. Es ist völlig egal, ob das früher normal war, ob ich die Begründung nachvollziehen kann, ob ICH als Nichtlumpumpum das beleidigend, verletzend etc., finde – ich bin ja nicht betroffen**. Wieder: Welchen Grund sollte es geben, meine jahrelange Gewohnheit beizubehalten, und damit wissentlich Menschen zu verletzen und/oder gar gesellschaftliche Ausgrenzungsmechanismen sprachlich zu untermauern? Nur meine eigene Bequemlichkeit? Oder ein trotziges „ich lasse mir nichts verbieten“? Niemand will mir etwas verbieten. Niemand KANN mir etwas verbieten. Es ist eine Bitte um Respekt und Höflichkeit. Wieso will ich respektlos und unhöflich sein?

Fall 3: Wie Fall 2, nur scheint es eine große Gruppe von Menschen zu geben, die Lumpumpums sind, und auch so bezeichnet werden möchten. Für mich als Nichtlumpumpum ist das sehr undurchsichtig, teilweise scheint es Streit innerhalb der L-Community zu geben, mit fanatischen Sprachpolizisten auf beiden Seiten. Was tun?
Naja, zunächst: Mich schlau machen. Mir die ganze Problematik von BETROFFENEN erklären lassen. Lernen. Verstehen. Und dann eine persönliche Entscheidung treffen, die wahrscheinlich sprachliche Flexibilität beinhaltet und viel Nachfragen, wenn man niemanden verletzen will. Wenn jemand sich dann von der reinen Nachfrage beleidigt fühlt… dann kann ich ihm/ihr auch nicht helfen.
Mal weg vom Lumpumpum: Fall 3 tritt oft ein, wenn man – wie ich – versucht, ein guter Verbündeter der LGBTQ-Menschen zu sein. Wirklich: Fragen und die eigene Sprache individuell anpassen. Die Falle vermeiden, Bezeichnungen, die viele Menschen ablehnen (also Fall 2) mit individuellen Vorbehalten (Fall 1) zu verwechseln. Im Zweifel eher auf ein Wort verzichten.

Fall 4, die einzige Ausnahme: Auch ohne Lumpumpum, weil ich Missverständnisse vermeiden will. Mein Nachbar bittet mich, sein Haus nicht mehr als „Haus“ zu bezeichnen, sondern als „Palast“. Er hat viel Geld und Liebe in dieses Gebäude gesteckt, er findet, ein simples „Haus“ setzt das herab. „Palast“, bitte. Okay, kann er haben. Ein wenig skurril, aber wenn es ihm gut tut, warum denn nicht? NUR: Jetzt will mein Nachbar, dass alle anderen Hausbesitzer ihre Häuser bitte auch als „Palast“ bezeichnen. Schließlich sind manche dieser Häuser größer als sein Palast, das wäre ja lächerlich. Und ich soll bitte auch alle Häuser als Paläste bezeichnen, aus dem selben Grund. Da hört es dann auf.* Denn das KANN ich beurteilen. Meine Nachbarn, die anderen Hausbesitzer, wollen das nicht. Und ich will es auch nicht. Und wir sind alle betroffen. Also – nein!

PS.: Gerade als Autor ist es für mich extrem wichtig, die Fälle 2 und 3 zu vermeiden. Und das bedeutet eben: LERNEN. Fragen, reden, lesen, sich Gedanken machen. Das kann im Zweifel auch echt knifflig sein (versucht mal, auf Deutsch über eine Nonbinary-Person zu schreiben). Aber das gehört eben zum Job. Das IST der Job. Wir als Autorinnen und Autoren gestalten Sprache, und Sprache schafft Bewusstsein. Kein Platz für Lazy Writing.


* Ein sehr einfaches Beispiel, das mich selbst betrifft: Ich mag es nicht, wenn man meinen Vornamen mit „Michi“ abkürzt. Auch nicht im Scherz. Hat sehr persönliche Gründe, und ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn andere Michaels oder Michaelas gerne Michi genannt werden. Ich kann schließlich nur für EINEN Michael sprechen. Oder wenn mich jemand so nennt, der das nicht weiß. Wenn aber jemand, obwohl ich darum gebeten habe, es zu lassen, darauf besteht, mich weiter „Michi“ zu nennen, weil er/sie das eben so möchte, und ein anderer Michael, den er kennt, hat ja auch kein Problem damit, etc., blablabla… dann werde ich auch unfreundlich.

**Wichtig ist, dass es die Betroffenen sind, die darum bitten.

Über Mountfright

Autor und Öffentlichkeitsarbeiter, Mann und Vater, Leser und Filmfreak. Kindheit in den 1970ern, weswegen mich bis heute seltsame Musik mit Ohrwürmern plagt. Aufgewachsen in den 80er Jahren, einem Jahrzehnt, das nicht halb so grau war, wie die anderen glauben. Erste Kurzgeschichte mit 13, erster echter Romanversuch (nach pubertären Ausfällen) mit 17, die nachfolgende Schreibblockade habe ich mir mit Songtexten für die Kölner Psychobillyband "Boozehounds" vertrieben. Danach ging es wieder: Erster lesenswerter Roman mit 26, seither nicht mehr aufgehört.
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