Frohes Neues Jahr in die Runde.
Kevin Spacey ist leider durchgedreht. Offenbar ist er unter dem Druck, der auf ihm lastet, gebrochen. Self inflicted pain. Ausdruck dieses Zusammenbruchs ist ein ziemliches Gaga-Video, das er an Heiligabend veröffentlichte. Ich will hier gar nicht auf den Fall Spacey selbst eingehen, sondern auf zwei Aspekte dieses seltsamen Textes, den er im Stil einer echten Macho-Heulsuse vorträgt:
1.) Nein, Mr. Spacey, den Charakter des Frank Underwood verdanken wir nicht Ihnen. Den haben wir Michael Dobbs, Andrew Davies, Beau Willimon, und einer ganzen Reihe anderer Autorinnen und Autoren zu verdanken. Sie erinnern sich? Das sind die Leute, die die Drehbücher schreiben, in denen Sie die Figuren finden, die Sie dann entsprechend diesen Drehbüchern spielen. Wird gerne verwechselt, aber um mal den Ductus des Videos aufzunehmen: Sie, Mr. Spacey, sind doch zu intelligent, diesen Fehler auch zu machen, hm?
2.) Künstler müssen Grenzen überschreiten! Künstler müssen Tabus brechen! Künstler dürfen sich nicht sagen lassen, was sie dürfen und was nicht!
Ja, alles richtig – aber bezogen auf die KUNST! Wer sich als Künstlerin oder Künstler durch Tabus einschränken lässt, wer nicht bereit ist, Grenzen zu überschreiten, welcher Art auch immer wird letztlich kleiner bleiben, als er oder sie ist. Wer mit der Schere im Kopf arbeitet, der wird sich nie entfalten können, nie das erreichen, was erreichbar ist, nie das ganze Land erforschen, das zu kartieren seine oder ihre Lebensaufgabe ist. Das beinhaltet natürlich die Gefahr des Scheiterns. Ich trage mich seit mehreren Jahren mit den Gedanken an eine Geschichte, die eventuell zu groß für mich ist. Da geht es nicht um gesellschaftliche Grenzen und Tabus, nicht in erster Linie, jedenfalls. Es ist eine Geschichte über eine Naturgewalt, Zeit und die Wirklichkeit an sich. Es kann sein, dass ich an ihr scheitere. Aber ich darf mich ihr nicht verweigern.
Doch das betrifft natürlich in besonderem Maße gesellschaftliche Tabus und Reizthemen. Ich habe ein paar davon in meinen Geschichten berührt (nicht ausgelotet). Und natürlich ist es erlaubt, sich zum Beispiel des Themas der sexualisierten Gewalt anzunehmen. Man kann daran scheitern, und dann ist das Ergebnis meist auf mehreren Ebenen füchterlich. Aber der Versuch, die Aufgabe zu bewältigen ist, wenn der Künstler oder die Künstlerin die Notwendigkeit spürt, eben genau das: notwendig.
Das bedeutet aber eben nicht – und deshalb der Schlenker zur sexualisierten Gewalt – dass man diese Grenzüberschreitung außerhalb der Kunst irgendwem aufzwingen muss. Diese widerliche Ausrede, mit der Künstler (in dem Falle wirklich meist Männer) seit Jahr und Tag kommen, wenn sie jemanden sexuell genötig oder missbraucht, verprügelt oder totgefahren haben, ist eine verdammte Lüge. Jemanden zu vergewaltigen ist kein Zeichen einer reichen inneren Welt, die nach Außen drängt. Jemanden zusammenzuschlagen ist nicht der Ausdruck einer Suche nach Grenzerfahrungen. Wäre es das, würde man ebensooft, wie man von Künstlern hört, die ihre Macht egozentrisch missbrauchen, von solchen hören, die eine Horde Hooligans provozieren und dann kämpfend untergehen. Hört man nur irgendwie nie. Die Kunst vorzuschieben, wenn man im Grunde nur einfach mal die Sau rauslassen will, ist ein erbärmlicher Täuschungsversuch, der Gott sei Dank immer öfter nicht mehr funktioniert. Da ist selbst der besoffene Schläger ehrlicher, der seinen Alkoholpegel als Entschuldigung vorschiebt. Das ist auch erbärmlich, aber immerhin war er wirklich besoffen.
Aber ist es nicht so, dass Menschen, die in mehreren Welten leben, tatsächlich auch die Erfahrungen, die sie in der einen (der Inneren) machen auch in die Äußere tragen müssen, weil sie eben Teil ihrer Persönlichkeit sind? Bedeutet das nicht, auch im Hier und Jetzt zuweilen den Exzess zu suchen? Ja, schon. Würde ich jedenfalls sagen, ich will aber niemandem, der diesen Drang nicht spürt, das Künstlertum absprechen. Ist sehr individuell, denke ich. Und was das jeweils bedeutet ist auch individuell. Aber was immer man damit meint – das alles ist in geschützten Räumen, unter Beachtung aller Risiken und im Konsens mit allen anderen Beteiligten möglich.
Kein Künstler und keine Künstlerin hat das Rech, den heiligen (ja, echt!) Namen der Kunst zu missbrauchen, um den eigenen Mangel an Empathie und Selbstkontrolle zu rechtfertigen. Das ist, neben allem anderen, Verrat an der Kunst.