schreckenberglebt: Türchen Nr. 8 – American Football – eine Sehhilfe

Gestern schlug Bayer 04 Leverkusen Schalke 04 in der Fußball Bundesliga. Heute Abend spielen die Baltimore Ravens gegen die Buffalo Bills in der NFL American Football. Einmal dürft Ihr raten, was mich mehr interessiert. 😀

Ich schaue mir schon seit langem gerne American Football an, ein wirklicher Enthusiast bin ich aber erst, seit mein Sohn von 2012 bis 2018 bei den Langenfeld Longhorns gespielt hat. Ich bin Horns-Fan und schaue mir jede Saison so viele Heimspiele wie es geht im Stadion an – in der Regel besitze ich eine Jahreskarte (vergange Saison leider nicht). In der NFL – der unbestritten besten American Football-Liga der Welt – gilt meine Liebe, wie gesagt, den Baltimore Ravens. Welcher Schriftsteller könnte einem Team widerstehen, das sich nach einem Werk von Edgar Allan Poe benannt hat? In den vergangenen Jahren war diese Liebe oft eine schmerzliche, in diesem Jahr aber… Jeden Sonntag werden Träume wahr. 😀

Ich möchte mit diesem Blogpost eine kleine Sehhilfe für American Football geben, besonders für Freunde europäischer Sportarten wie Fußball oder Handball, die das Spiel vielleicht interessant finden, aber mit dem vermeintlichen Chaos auf dem Platz überfordert sind. Dabei möchte ich nicht zu dem blödsinnigen Thema „Was ist besser“ beitragen. Darüber lässt sich nicht streiten. Nein, Am.-Football ist nicht „sinnlos“ oder „unlogisch“, nur weil es nicht den Gesetzen folgt, die viele vom Fußball gewohnt sind. Ebensowenig wie Fußball „sinnlos“ oder „unlogisch“ ist, weil es ja viel einfacher wäre, den Ball zu tragen. Und nein, Fußball ist auch nicht langweilig, obwohl es uns Am-Football Fans oft so scheint, als passiere da halbe Stunden lang gar nichts. Da passiert schon was, wir erkennen es nur nicht, weil es nicht zu unseren Sehgewohnheiten passt.

Ich schaue mir American Football mit dem NFL-Game-Pass an, der sich preislich ganz gut mit einem Sky-Fußball-Abo vergleichen lässt, glaube ich. Ihr könnt Euch ausgewählte Spiele aber problemlos auch im Free-Tv ansehen. Da war früher nur meist die Moderation grottig, weil sich ein Experte der wirklich etwas davon versteht mit einem ahnunglosen aber sehr lauten Co-Moderator herumschlagen musste, der keine Ahnung hat. Weiß nicht, ob das inzwischen besser ist. In Deutschland ist im Moment Off-Season, aber ich empfehle Euch bei Interesse DRINGEND, Euch American Football live anzusehen. Klar, auch unsere besten Teams sind meilenweit von NFL-Qualität entfernt, aber die Spiele sind spannend und die Atmosphäre ist meist erstklassig. Irgendein Team gibt es garantiert in Eurer Nähe, und auch Spiele der GFL 1 und 2 (erste und zweite Bundesliga) sind sehr erschwinglich. Die Longhorns spielen übrigens GFL 2.

Also – wie schaue ich ein American Football Spiel?

Zu den Regeln sage ich jetzt nichts, die kann man zum Beispiel hier nachlesen. Man versteht sie – wie bei allen Spielen – erst wirklich, wenn man das Spiel dazu sieht.

1.) Rundenbasiert vs. Echtzeit

Der erste und für mich auffälligste Unterschied zwischen American Football und zum Beispiel Fußball (oder auch Rugby, dem gemeinsamen Ahnherr) ist, dass Fußball einen mehr oder weniger kontinuierlichen Spielfluss hat, während ein Football-Spiel scheinbar immer wieder unterbrochen wird. Aber schon dieser Eindruck beruht auf dem falschen Eindruck, ein Sportspiel müsse, außer bei Regelverstößen, kontinuierlich ablaufen. Es gibt sehr viele Spiele, bei denen das nicht so ist, sie sind uns Europäern nur nicht so vertraut: Schlagballspiele wie Baseball und Crickett fallen mir ein, aber auch bei Rückschlagspielen wie Tennis, Badminton oder Volleyball wechselt ja das Aufschlagsrecht. American Football muss man sich ähnlich vorstellen: Jeder Versuch, Raum zu gewinnen ist ein Spielzug (Down) mit Beginn, Mittelteil und Ende. Ist ein Spielzug beendet, stellen sich die Teams neu auf, und der nächste beginnt. Es ist ein wenig wie bei rundenbasierten Computerspielen im Vergleich zu Echtzeitspielen. Zwischen den Spielzügen besprechen sich die Teams und legen die Taktik für den nächsten Spielzug fest. Während eines Zuges passiert dann wahnsinnig viel gleichzeitig, wenn beide Teams versuchen, ihrer Taktik zu folgen und die des gegnerischen zu Nichte zu machen. Das macht American Football zu einem ungeheuer strategischen, überraschenden und spannenden Spiel – man weiß nie genau, was im nächsten Zug passiert, wer was versucht.

2.) Kampf der Spezialisten

Im American Football ist immer klar geregelt, welche Mannschaft gerade das Angriffsrecht hat. Sie kann das Angriffsrecht verlieren, aber dann bekommt es der Gegner. Ein permanentes hin und her zwischen Angriff und Verteidigung, wie zum Beispiel im Fußball, ist nicht vorgesehen. Das hat weitreichende Folgen: In einer Zeit, als es auch im Fußball noch bullige Verteidiger und flinke Außenstürmer, Kopfballungeheuer und Strafraumspezialisten – also eine sehr klare Arbeitsteilung – gab, sprach Johann Cruyff schon von seinem Ideal einer Mannschaft, in der jeder Spieler jede Position spielen kann. Heute, wo jeder Mannschaftsteil sowohl zum Angriff als auch zur Verteidigung beiträgt, ist der Fußball diesem Ideal schon recht nah – unter anderem mit dem Ergebnis, dass Fußballprofis alle mehr oder weniger den selben Körpertyp haben.

Im American Football ist das völlig anders. Es ist inzwischen allgemein bekannt, dass jedes Team sich in Angreifer (Offense) und Verteidiger (Defense) teilt (Außerdem gibt es noch die Special Teams, aber auf die gehe ich jetzt mal nicht ein.). Wenn die Offense von Team A auf dem Feld ist, spielt sie gegen die Verteidiger von Team B. Offense und Defense einer Mannschaft sind also nie gleichzeitig auf dem Platz.

Innerhalb dieser Teams gibt es wiederum Spezialisten für bestimmte Aufgaben. Die meisten Laien assoziieren Football mit riesigen, oft sehr schweren Spielern. Die gibt es, und sie sind extrem wichtig (weswegen kräftige, auch dicke Kinder, die Lust auf Sport haben, in jedem Football-Team hochwillkommen sind), es sind die Liner, also die erste Angriffs- bzw. Verteidigungslinie, wenn Offense und Defense zu Beginn des Spielzugs aufeinander prallen. Aber gleichzeitig werden schnelle Läufer, gute Passfänger und -werfer, starke und schnelle Kämpfertypen, flinke Trickster und viele andere Typen gebraucht. Weil jeder Position eine bestimmte Aufgabe zukommt. Und innerhalb der Positionen gibt es nochmal unterschiedliche Aufgaben, je nach aktueller Taktik, was dazu führt, dass etwa auf der Position des Ballträgers (meist der Runningback) sowohl kleine, schnelle Spieler wie Justin Forsett als auch Kampfmaschinen (im ehrfurchtsvollsten Sinne) wie Marshawn Lynch zu finden sind. Das ist der Grund, für die häufigen Spielerauswechselungen im American Football. Es hat nichts damit zu tun, dass die Spieler müde oder abgekämpft wären, sondern damit, dass für jedes taktische Element der richtige Spieler auf dem Platz stehen muss. Und die Taktik ändert sich eben von Spielzug zu Spielzug.

3.) Ein Spielzug

American Football findet also von Spielzug zu Spielzug statt, und so sollte man das Spiel auch betrachten. Der Spielzug beginnt in der Regel damit, dass der Spieler in der Mitte der Offensive Line (also der vordersten Linie der Mannschaft mit Angriffsrecht) den Ball an den hinter ihm stehenden Quarterback (Spielmacher) gibt. Dieser gibt den Ball entweder an einen anderen Spieler, indem er ihn direkt an einen Läufer übergibt, oder einem Passempfänger zuwirft, oder er läuft selbst mit dem Ball und versucht, Raum zu gewinnen. Dabei versuchen er und die Laufspieler oft zu verschleiern, was wirklich passiert, in dem die Ballübergabe (oder -nichtübergabe) blitzschnell und verdeckt geschieht, und alle so tun, als hätten sie den Ball. Die Offensive-Line versucht derweil, Wege frei zu blocken und den Quarterback so lange wie möglich vor den anstürmenden Verteidigern zu beschützen.

Die Verteidiger versuchen drei Dinge:
a) Zum Quarterback vorzudringen und ihn zu Fall zu bringen, so lange er den Ball noch hat (Quarterback-Sack).
b) Laufspieler, die den Ball tragen, zu stellen und nieder zu ringen, bevor sie Raum gewinnen können.
c) Passspieler zu decken, zu Fall zu bringen, sobald sie den Ball gefangen haben, oder, idealerweise, den Ball abzufangen (Interception) und damit das Angriffsrecht zu erobern oder sogar den abgefangenen Ball direkt in die gegnerische Endzone zu tragen (Pick-Six) und selbst Punkte zu machen.

Natürlich kann man all das nicht gleichzeitig, deshalb versucht die Defense, die Taktik der Offense zu durchschauen und ihre eigene entsprechend zu wählen.

Wenn ich nun einen Spielzug der Baltimore Ravens oder der Langenfeld Longhorns ansehe, dann richtet sich die Frage, worauf ich achte, zunächst einmal danach, ob mein Team angreift oder verteidigt. Greift es an beobachte ich in der Regel den Weg des Balls und was der Quarterback mit ihm macht, ob es der Offense gelingt, Raum zu gewinnen, Punkte zu machen. Und wenn man mit einem Quarterback gesegnet ist, wie Lamar Jackson von den Baltimore Ravens, dann macht es zusätzlich zu der Spannung ungeheuren Spaß zu sehen, was der sich als nächstes ausdenkt. 😀 Es lohnt sich aber auch, von Spielzug zu Spielzug einmal auf die Offensive Line zu achten, wie sie ihren QB beschützen, wie sie Wege für die Männer hinter sich schaffen, wie sie wieder und wieder in Einzelkämpfe mit ihrem Gegenüber in der Defensive Line verstrickt sind.

Ist mein Team in der Defense, versuche ich, mit ihm zu antizipieren, was passieren wird, fiebere mit ihnen, wenn sie versuchen, die O-Line zu durchbrechen, freue mich über Sacks, Interceptions und jeden Erfolg im Kampf um Raum. Die Taktik der Defense ist ebenso wichtig wie die der Offense, denn zwar kann nur die Offense punkten (außer eben im Falle eines Pick-Six) – aber nur die Defense kann den Gegner daran hindern, Punkte zu machen. Deshalb ist ein Sieg immer eine Sache beider Mannschaftsteile.

So… ich hoffe, diese kleine Sehhilfe ist nützlich für Euch. Ich gehe dann mal ins Wohnzimmer, in 40 Minuten startet das Spiel. GO RAVENS! 😀

Über Mountfright

Autor und Öffentlichkeitsarbeiter, Mann und Vater, Leser und Filmfreak. Kindheit in den 1970ern, weswegen mich bis heute seltsame Musik mit Ohrwürmern plagt. Aufgewachsen in den 80er Jahren, einem Jahrzehnt, das nicht halb so grau war, wie die anderen glauben. Erste Kurzgeschichte mit 13, erster echter Romanversuch (nach pubertären Ausfällen) mit 17, die nachfolgende Schreibblockade habe ich mir mit Songtexten für die Kölner Psychobillyband "Boozehounds" vertrieben. Danach ging es wieder: Erster lesenswerter Roman mit 26, seither nicht mehr aufgehört.
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