schreckenberglebt: Wahnsinn einer Spezies

Brüssel jetzt also. Ich mag Brüssel. Auf meiner Liste der inspirierenden Städte ist sie auf Platz 3, hinter London und Wien. Und Brüssel ist gleichsam nebenan… Daher treffen mich die heutigen Nachrichten besonders. Ja, ich weiß, dass das und Schlimmeres in vielen Städten anderswo Alltag ist, dass unsere Medien nur nicht darüber berichten, und lieber die Menschen, die versuchen, dem zu entkommen als Masse entpersonalisieren („Flüchtlingsströme“) und lieber die Flucht als Krise bezeichnen als das, was sie verursacht. Aber das nur am Rande.

Brüssel also. Und weil es so nah ist berichten die Medien, seit Stunden. Die inzwischen leider so bekannten Bilder: Flüchtenden, verzweifelte Menschen, Sicherheits- und Rettungskräften, die versuchen im Nachhinein zu tun was zu tun ist, Politiker, die ihre Trauer und Hilflosigkeit aussprechen, Journalisten, die sich gegenseitig interviewen und auch nicht viel mehr wissen als das, was die Bilder zeigen.

Und dazu die eigene Hilf- und Ratlosigkeit. Das Mitleid mit den Opfern, deren einzige Schuld darin lag, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein. Warum? Warum zum Teufel tun Menschen sowas.

Ich habe Geschichte und Politkwissenschaften studiert, ich könnte das jetzt fachmännisch analysieren und Erklärungen versuchen. Manche davon hätten durchaus mit „What goes around comes around“ zu tun, zumindest, wenn man sich die Sicht der Täter in solchen Fällen zu eigen macht und glaubt, man könne eine Gesellschaft treffen. Was man trifft, tötet, verletzt, verstümmelt sind aber einzelne Menschen, die in aller Regel  verdammt nochmal nichts für irgendetwas können.

Aber ich will mal einen weiteren Blick versuchen:

Diese Spezies, der Homo Sapiens, ist wahnsinnig. Ich weiß nicht warum. Die Enge wäre vielleicht eine Erklärung. Tiere, denen man den Raum nimmt, werden verrückt und wüten gegen sich und andere, wenn man sie lässt, was in Versuchslaboren oder auch Legebatterien immer wieder bewiesen wird. Vielleicht ist es mit uns ähnlich? Meine beiden erfolgreichsten Romane spielen in einer nahezu menschenleeren Welt – und ich gebe zu, dass ich mich, während ich in diesen Geschichten war, manchmal nach einer solchen Welt gesehnt habe, trotz aller Probleme, die auch meine Figuren im „Finder“ und in den „Nomaden“ haben. Kann es sein, dass viele von uns sich nach diesem frühzeitlichen Zustand sehnen, als Kämpfe um Ressourcen noch völlig unnötig waren? Wer dem zustimmt sollte sich nur eins überlegen: DIE MASSE, das sind nicht nur die anderen, das bin auch ich selbst und das sind die, die ich liebe. Wie diese Graffities an Autobahnen: „Ihr steht nicht im Stau, Ihr seid der Stau!“

Dennoch… es klingt plausibel. Denn es wäre möglich, auch jetzt noch, dass wir alle, alles 7 Milliarden, auf diesem kleinen Planeten friedlich gemeinsam leben. Niemand müsste hungern. Niemand müsste ohne Zugang zu Trinkwasser, Schutz und Medikamenten sein. Niemand müsste irgendwen umbringen, vertreiben, versklaven, ertrinken lassen, ausbeuten oder auch nur anpöbeln. Wir haben die Mittel. Soll mir keiner sagen, es wäre unmöglich, ein Computerprogramm zu schreiben, dass die Ressourcen dieses Planeten fair verteilt und dabei auch darauf achtet, dass wir nur die Ressourcen verbrauchen, die wir verbrauchen können, ohne künftigen Generationen die Lebensgrundlage zu entziehen. Klar… wir, die Reichen des Planeten, müssten wohl unseren Lebensstandard etwas zurückfahren. Aber wäre das ein zu hoher Preis? Ich bin kein Programmierer, aber ich vermute, ich besitze Computerspiele die komplexer sind als so ein Programm. Und die Graphik wäre mir echt egal.

Aber selbst wenn wir ein solches Programm hätten – niemand würde es nutzen. Der Teil der Menschheit, der die Welt beherrscht und gerne behauptet, er täte das auf zivilisierte und kultivierte Weise hängt einer geisteskranken Wachstumsideologie an, die sich nicht darum schert, das Ressourcen begrenzt sind und dass ein Menschenleben wertvoller ist als das nächste Quartalsergebnis. Dass ruhiger Nachtschlaf und die Nutzung der Turnhalle NICHTS sind gegen die verdammte mitmenschliche Pflicht, Menschen in Not zu helfen. Wichtig ist uns als Lebensstilgemeinschaft aber nur die momentane Befriedigung der Gelüste und zwar ohne Rücksicht auf irgendetwas. Ich nehme mich da nicht aus, ich bin hier im Nordwesten geboren und aufgewachsen, ich bin tief in diesem irrsinnigen Lebensstil verwurzelt. Krankes Suchtverhalten ist es trotzdem. Wer allerdings, wo auch immer, glaubt, dies Lösung der Probleme – seiner eigenen oder der der ganzen Welt – bestünde darin, Menschen umzubringen, zu vertreiben oder ihnen seinen Willen aufzuzwingen ist kein Deut besser. Es gibt kein „Wir sind die Guten, die sind die Bösen.“ Jeder einzelne Mensch entscheidet für sich, wo er steht und was er tut. Natürlich kann das bedeuten, dass man kämpfen muss – ich habe zu lange Selbstverteidigung für Frauen unterrichtet um zu glauben, dass es für alles eine friedliche Lösung gibt. Aber es ist ein Unterschied, ob man sich gegen den Wahnsinn wehrt oder Teil des Wahnsinns wird. Wer glaubt, sich zu wehren in dem er „eine Gesellschaft“, „einen Lebensstil“, „ein Volk“, „eine Religion“ oder auch nur „ein Dorf“ oder „eine Familie“ angreift ist schon Teil des Irrsinns, ist die Krankheit, nicht die Heilung für die er sich hält.

Gibt es eine Lösung, irgendeinen Ausweg? Ich weiß es nicht, vielleicht schreibe ich dies hier, weil ich so ratlos bin. Einen einzelnen Menschen, der tut was unsere Spezies tut würde man für gefährlich geisteskrank erklären und in Sicherheitsverwahrung stecken. Vielleicht ist dass der Grund, warum diese Ufosichter Ufos immer nur sichten, aber nie eins landet.

Ich kann nur sagen, was ich tun werde. Ich bin ein glücklicher Mensch. Ich liebe und werde geliebt. Ich habe zu essen und zu trinken, ich habe ein Bett und ein Dach über dem Kopf, ich kann meine Geschichten schreiben frei und ungehindert. Manchmal gibt es ein paar materielle bzw. finanzielle Probleme, aber die bringen mich nichtmal entfernt in das, was  ich jemandem im nächsten Flüchtlingsheim gegenüber mit reinem Gewissen als „Notlage“ bezeichnen könnte.

Ich werde versuchen, dieses Glück weiter zu geben. Andere lieben und leben zu lassen. Ich werde nicht urteilen, wenn jemand anders lebt, liebt, glaubt als ich, so lange derjenige dasselbe tut. Ich werde versuchen niemandem zu schaden, der mich nicht direkt angreift. Glück zu teilen, kein Unglück zu verursachen.

Im Großen und Ganzen werde ich damit scheitern. Alleine dadurch, dass ich in dieser Gesellschaft lebe, Teil von ihr bin und mich an ihre Regeln halte, die mir – global gesehen – den Vorteil der herrschenden Klasse sichern, bin ich teil des Wahnsinns, der Ausbeutung, der Unterdrückung. Es gibt kein richtiges Leben im Falschen. Aber damit muss ich leben, es gibt nunmal keine einfachen Lösungen und „wir“ sind nicht „die Guten“, nur weil wir das zu gerne glauben wollen. Aber vielleicht würde es reichen, wenn „wir“, jeder, überall, einfach nur versuchen würde, keiner von „den Bösen“ zu sein. Für niemanden. Nicht wahnsinnig zu sein.

Amen.

 

 

Über Mountfright

Autor und Öffentlichkeitsarbeiter, Mann und Vater, Leser und Filmfreak. Kindheit in den 1970ern, weswegen mich bis heute seltsame Musik mit Ohrwürmern plagt. Aufgewachsen in den 80er Jahren, einem Jahrzehnt, das nicht halb so grau war, wie die anderen glauben. Erste Kurzgeschichte mit 13, erster echter Romanversuch (nach pubertären Ausfällen) mit 17, die nachfolgende Schreibblockade habe ich mir mit Songtexten für die Kölner Psychobillyband "Boozehounds" vertrieben. Danach ging es wieder: Erster lesenswerter Roman mit 26, seither nicht mehr aufgehört.
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3 Antworten zu schreckenberglebt: Wahnsinn einer Spezies

  1. inter123netzzo schreibt:

    Du hast recht, wir sind ein Schrecken und Lösungen nicht in Sicht

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  2. Sarah Wassermair schreibt:

    Jupp. Amen. Mehr gibts zu dem ganzen Kramurks langsam echt nimmer zu sagen.

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  3. Mountfright schreibt:

    Als ich Kind war hielt man, Wesen wie den Apatosaurus für primitiv, träge, unflexibel, weil sie ausgestorben sind. Da klang ein gewisser Stolz und eine gute Menge Arroganz des denkenden Menschen gegenüber Wesen mit nussgroßen Gehirnen durch. Nun ja… Apatosaurier gab es so etwa 10 Millionen Jahre lang. Wir bringen es im Moment auf knapp 200.000, wenn ich richtig informiert bin.

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