schreckenberglebt: Was ist links?

Ein Autorenkollege, der sich oft öffentlich kluge und politisch unbequeme Gedanken macht schrieb gestern (ich paraphrasiere):

Heute hat die Linke fast all ihre Ziele erreicht, von Abtreibung bis zur gleichgeschlechtlichen Ehe.

Dieser Satz ist Teil einer sehr langen Argumentation in der er sich unter anderem damit auseinandersetzt wer und was heute das Establishment ist, aber mich hat dieser Satz besonders betroffen, denn ich glaube, er illustriert ein großes, wenn nicht DAS Hauptproblem der Linken: Die Themen, die sie für sich beansprucht oder die ihr zugesprochen werden sind nicht links!

Nehmen wir die beiden Beispiele oben:

Was ist an einer Abtreibung links? Die Tatsache, dass eine bestimmte Sorte kirchlich gebundener Konservativer sie ablehnt? Wer für das Recht einer Frau ist, selbst darüber zu entscheiden was mit ihrem Körper passiert, der ist nicht zwangsläufig links. Ein liberaler Bürgerrechtler MUSS diese Position einnehmen. Ein sekular eingestellter Konservativer KANN sie einnehmen. Natürlich KANN man diese Position auch als Linker einnehmen. Ebenso aber ist eine linke Position denkbar die sagt, dass die Gesellschaft das Recht auf Abreibung einschränken kann, wenn sie eine höhere Geburtenrate braucht. Die Frage des Rechts auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist eine Frage der individuellen Selbstbestimmung, und daher ein klassisch liberales Thema.

Was an gleichgeschlechtlicher Ehe links sein soll ist mir ebenfalls unklar. Wenn zwei Menschen sich lieben und dies auch vor Staat und Gesellschaft bezeugen und damit verbundene Rechte und Pflichten wahrnehmen wollen sollte es völlig egal sein, wie diese Menschen untenrum gebaut sind. Wieder: Auch hier können nur Menschen dagegen sein, die einer erzkonservativen Religion angehören. Wenn man dem aktuellen Papst zuhört ist ja nicht einmal mehr die katholische Kirche völlig dagegen. Und in der Realität sehen wir ja auch: Homo- oder Bi- oder Pansexuelle Menschen die heiraten gibt es quer durch alle politischen Lager, weißgott nicht nur auf der Linken.

Klimapolitik, Feminusmus, Veganismus, Pazifismus… NICHTS davon ist genuin links, nichts davon ist etwas, dem Konservative und Liberale per se nicht zustimmen können. Das Problem ist nur, dass diese Themen irgendwann in der Vergangenheit zu linken Themen erklärt wurden und die Linke sich hat verführen lassen, sie ihrerseits zu linken Themen zu erklären. Das Ergebnis ist, dass ein Konservativer sich nicht problemlos zu einer vernünftigen Umweltpolitik bekennen oder vegan leben kann, ohne dass zumindest Zweifel an seiner konservativen Gesinnung laut werden. Und dass eine Partei wie die Grünen, die eigentlich schon lange eine Volkspartei im alten Sinne ist, die also ein sehr breites politisches Spektrum abdeckt, immer noch mit der Selbsttäuschung lebt, sie sei links (und das auch dauernd erzählt und daher zum Beispiel nicht die gemäßigt konservativen Wählerinnen und Wähler erreicht, die sie erreichen könnte.)

Zur Erinnerung:

RECHTS ist eine politische Einstellung, die den Staat und die Staatsraison (und damit das Wohl aller) über die Rechte des Individuums stellt. Wenn die Staatsraison humantistisch und menschenfreundlich ist kann daraus eine sehr wohltuende und segensreiche Politik erwachsen. Das Problem ist, dass wir „Rechts“ heute, nach dem 20. Jahrhundert, vor allem in Verbindung mit Nationalismus und/oder einer Ständegesellschaft und/oder Kapitalismus und/oder Klerikalismus denken. Diese Verbindungen haben zu den verschiedenen Formen des Faschismus geführt hat, die wir im letzten Jahrhundert kennengelernt haben. Aber das sind natürlich nur mögliche Formen einer Rechtsregierung.

LIBERAL ist eine politische Einstellung, die die Rechte des Individuums höher einschätzt als die Interessen der Gemeinschaft. Die also – in ihrer besten Form – die Bügerrechte verteidigt und jeden nach dem Prinzip „was du nicht willst das man dir tu…“ leben lässt. Der Staat, als Nachtwächterstaat, hat seine Bürger nur zu schützen, ihnen Ressourcen zur Verfügung zu stellen und dafür zu sorgen, dass jeder sich an die goldene Regel hält. Eigentlich sind ALLE Parteien unseres heutigen politischen Systems, von der extremen Rechten und Linken abgesehen, liberale Parteien verschiedener Ausrichtung, wobei AfD und Die Linke Flügel haben, die aus dem liberalen Konsens herausfallen. Aber wenn man einen politisch informierten Menschen von, sagen wir, 1925 die Parteiprogramme von CDU, CSU, FDP, SPD und Grünen lesen lassen würde, er würde sie alle als liberale Parteien klassifizieren, mehr oder weniger nach links oder rechts geneigt. So wie der Faschismus die Perversion der Rechten ist, ist das, was wir heute „Marktliberal“ nennen die Perversion der liberalen Idee. Die Vorstellung, dass man einfach den Markt gewähren lassen soll, zum Wohle aller, hat sich, global gesehen, als fürchterlich falsch und unmenschlich erwiesen, ihre Folgen sind tendenziell faschistisch, da sie eine neue Art von Ständegesellschaft begründen.

LINKS ist und bleibt die Idee der klassenlosen Gesellschaft. Die Idee, dass es keine Herren und keine Knechte geben soll, kein (übermäßig) reich und kein (menschenunwürdig) arm. Dass es Güter gibt – Wasser, Land, Grundnahrungsmittel, staatliche Waffen, Öffentlicher Personentransport etc,. etc., je nach linker Schule ist die Liste kürzer oder länger – die nicht Privateigentum sein können und dürfen. Dass bezahlbarer Wohnraum und Bildung ebenso Menschenrechte sind wie körperliche Unversehrtheit. DAS ist Links! Und so sieht interessanterweise auch fast jede Utopie aus, die Autorinnen und Autoren sich ausgedacht haben. Scheint also etwas dran zu sein. Leider gibt es heute keine einzige wirklich linke politische Strömung, die das verfechten würde, jedenfalls nicht hierzulande. Aus drei Gründen, denke ich:

1.) Historisch gelten die Linken Utopien – Anarchismus, Sozialismus, Kommunismus – als diskreditiert. In Wirklichkeit sind sie nie wirklich getestet worden. Die Anarchisten in Spanien und die Sozialisten in Deutschland sind aparterweise von ihren Kommunistischen bzw. Sozialdemokratischen Brüdern zusammengeschossen worden, Leninismus, Stalinismus und Maoismus waren von Beginn an nicht auf eine klassenlose Gesellschaft, sondern wiederum auf eine Form von Ständestaat (mit der Partei als erstem Stand) ausgerichtet und damit auch – siehe oben – sehr eng mit dem Faschismus verwandt. Alle anderen Ideen einer linken Gesellschaft haben sie ziemlich gewaltsam und ziemlich erfolgreich ausgerottet.

2.) Viel zu viele Linke verwechseln immer noch die Idee einer klassenlosen Gesellschaft mit einer egalitären Gesellschaft. Aber Menschen sind unterschiedlich und werden es immer sein. Eine politische Idee, die dem nicht Rechnung trägt kann nie erfolgreich sein.

3.) Die meisten Linken in Europa und Amerika denken nicht global. Aber wer für Gerechtigkeit und Gleichheit im Sinne von Klassenlosigkeit ist kann sinnvoll nur noch global denken (und lokal agieren). Aber im globalen Maßstab müsste die westliche Linke vor allem zuhören. Und das fällt gerade denen, die sich für links halten, so schwer*.

Wir brauchen eine echte Linke mehr denn je, glaube ich. Und wir haben keine.

 

 

 

*Ja, ja, deshalb reden sie so viel und schreiben ellenlange Blogbeiträge, ich weiß. 😀

Über Mountfright

Autor und Öffentlichkeitsarbeiter, Mann und Vater, Leser und Filmfreak. Kindheit in den 1970ern, weswegen mich bis heute seltsame Musik mit Ohrwürmern plagt. Aufgewachsen in den 80er Jahren, einem Jahrzehnt, das nicht halb so grau war, wie die anderen glauben. Erste Kurzgeschichte mit 13, erster echter Romanversuch (nach pubertären Ausfällen) mit 17, die nachfolgende Schreibblockade habe ich mir mit Songtexten für die Kölner Psychobillyband "Boozehounds" vertrieben. Danach ging es wieder: Erster lesenswerter Roman mit 26, seither nicht mehr aufgehört.
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