Die Sonntagsfrage: Ist Literatur mehrheitsfähig?

Eine Woche lang habe ich nicht gebloggt. Bizzi bizzi ist der Herr Künstler, unter anderem mit einer Sache, die ich Projekt X taufen möchte. Bei uns Schriftstellern ist es ja zuweilen so, dass wir an Dingen arbeiten, mit denen wir erst an die Öffentlichkeit gehen können oder dürfen (Verträge), wenn sie in trockenen Tüchern sind. In der Entwicklungsphase müssen wir dann stets sagen: „Ich arbeite, aber ich darf nicht sagen, woran.“ So ist das auch mit Projekt X. Also an alle, die ich in den vergangenen Tagen verprellt habe – tut mir leid. Und es ist wirklich keine doofe Ausrede. 😀

Umso mehr habe ich mich auf die heutige Sonntagsfrage gefreut – um dann verzweifelt meinen Sinnfragen Kombinator zu suchen. Weg. Mein allsonntäglicher Blogsinn – verschwunden im Chaos, das ich Arbeitsraum nenne.Gefunden habe ich ihn schließlich direkt neben meinem Laptop unter einem Stapel Bücher. Ähem… sorry. Spät kommt sie also, die Sonntagsfrage dieser Woche, aber sie kommt und lautet:

140119Ist Literatur mehrheitsfähig?

„Nein!“ höre ich die Kulturbeutel  schreien. „Nein! Literatur ist nicht mehrheitsfähig, dumm ist das Volk, dumm, keiner liest mehr, alle schauen nur Dschungelcamp und Castingshows, tagein tagaus, vor die Hunde geht die Kultur und die Literatur ist nicht mehrheitsfähig!“

Ruhig, liebe Kulturbeutel, nur ruhig. Lasst uns erst einmal definieren, was Literatur ist. Diesmal ziehe ich nicht den Duden zu Rate, schließlich BIN ich Schriftsteller, da sollte ich ja wohl eine Definition von „Literatur“ auf die Kette bekommen. In dem Wort steckt „Littera“, und da ich mir ein Latinum  ertrickst habe, vor allem aber, da zwei meiner Kinder Latein lernen und eifrig (und ohne schimpfliche Tricksereien diesmal, hoffe ich) Vokabeln lernen weiß ich, dass das „Buchstabe“ bedeutet. Es geht also um das Geschriebene und Lesbare, was – trotz Drehbuch und allem, tut mir leid, Sarah, – gespieltes Wort (Filme, Serien, Theater etc.) ausschließt. „Theater auch???“ Ja, lieber Kulturbeutel, Theater auch. Ich definiere hier, das ist mein Blog.

Vom Geschriebenen und Lesbaren möchte ich mich nun auf die Menge der Literatur beschränken, die eine künstliche Welt beschreibt, nicht die reale – Geschichten also. Das schließt alle Fachliteratur zum Beispiel  aus, alle Sozialdramen nach wahren Begebnissen aber ein. Denn auch  wenn eine Geschichte noch so nah an der Wirklichkeit ist – sie ist immer künstlich, denn die Wirklichkeit hat  keine dramatische Struktur. Jeder Autor muss also zumindest auswählen und Schwerpunkte setzen. Geschichten haben Protagonisten, im wirklichen Leben ist jeder sein eigener Protagonist, wir sind also alle Hauptfigur für eine und bestenfalls Nebenfigur für sieben Milliarden andere Menschen. Keine Literatur kann das abbilden. Hinzu kommt, dass die Bilder, die ich beim Lesen sehe, niemals dieselben Bilder sind, die der/die Autor(in) sieht. Jede Geschichte ist also Verfremdung.

Und das ist es schon. Literatur soll hier sein: In lesbarer Form niedergelegte Geschichten.

Weiter will ich nicht gehen, auf gar keinen Fall will ich eine Qualitätsdiskussion aufmachen oder zwischen U- und E-Literatur unterscheiden. So sehr ich die ganzen Kuschelvampire und das blöde Vanillebondagebuch zum Beispiel nicht ausstehen kann – das ist Literatur, ja. Literatur die  meinen Geschmack nicht trifft, aber seit wann bin ich der Maßstab? Und selbstverständlich bezeichne ich auch meine Bücher und Kurzgeschichten als Literatur. Und wer meint, darüber die  Nase rümpfen zu müssen, weil es Literatur aus den Phantastischen Genres ist – oder auch mal Krimi – der rümpfe gerne immerzu. Macht aber Falten auf der Nase.

Ist also die geschriebene Geschichte mehrheitsfähig? Ich denke, das ist eine Glaubensfrage. Ich glaube: Ja! Natürlich ist die Konkurrenz stark. Ich habe seit dem Jahreswechsel wenig gelesen und sehr viel „Breaking Bad„, „Twin Peaks“ und „Game of Thrones“ geschaut. Ja, das sind schon verdammt gute Geschichten verdammt gut erzählt. Aber gerade Literaturverfilmungen wie Game of Thrones – und seien sie noch so getreu – zeigen uns, was eine gespielte Geschichte eben nicht kann: Unsere eigenen Bilder in unserem eigenen Kopf entstehen lassen. Mal ganz ab von Argumenten wie Strand  und Badewanne (und wer sich „Game auf Thrones“ auf dem Smartphone ansieht ist meiner Meinung nach nicht zu retten) – wenn ich lese, wird die Geschichte des Autors zu meinen Bildern, ein einzigartiges Kunstwerk also. So etwas können auch Geniestreiche wie die drei oben genannten Serien nie sein. Mein Walter White ist jedermanns Walter White. Und wenn ich die Verfilmung des Herrn der Ringe sehe, ist mein Frodo auch jedermanns Frodo. Nicht aber, wenn ich das Buch lese – dann ist es nur meiner, in meinem Mittelerde. Das kann Literatur.

Ist sie aber mehrheitsfähig, ist es also möglich, dass die Mehrheit aller Lesekundigen (denn nur um die kann es ja gehen) auch liest? Siehe oben: Ja, klar ist das möglich. Ich würde sogar mal tippen, dass es derzeit so ist. Ob es so bleibt liegt einerseits an der Leseerziehung. So lange in Lehrplänen vor allem Literatur auftaucht, deren Themen zwar hochaktuelle sind, die diese Themen aber vor allem in einem Kontext betrachten, der für heutige Schüler historisch und damit lebensfern ist, wird es schwierig bleiben. Wohlgemerkt: Das schreibt jemand, der Shakespeare und Hemingway zu seinen Lieblingsautoren zählt. Aber ich bin nicht nur literaturaffin, ich bin auch sehr an Geschichte interessiert und habe das sogar mal  studiert. Man kann nun wirklich nicht von jedem Schüler verlangen, dass er zufällig ebenso ein Freak ist. Wird aber leider allzuoft verlangt.

Und es liegt natürlich an uns, den Literaturschaffenden. Schreiben wir Geschichten, die Leser finden? Schaffen wir es, beim Schreiben zwar nicht an die künftigen Leser zu denken, aber trotzdem für sie zu schreiben? Gelingt es uns – oder einigen von uns – die neuen Möglichkeiten die E-Books und crossmediale Vernetzung bieten zu erkennen und kreativ zu nutzen? Wenn uns das gelingt, mache ich mir keine Sorgen um die Mehrheitsfähigkeit. Und es wird uns gelingen – wir haben schon eine Menge Möglichkeiten erkannt und genutzt, seit Urk zum  ersten Mal dem Brutz am Lagerfeuer die spannende Geschichte von der Mammutjagd erzählte. Literatur ist und bleibt Mehrheitsfähig. Amen.

Einzige heute verwendete Literatur: Frey, Pia: “Sinnfragen Kombinator“, Frankfurt 2013

 

 

Über Mountfright

Autor und Öffentlichkeitsarbeiter, Mann und Vater, Leser und Filmfreak. Kindheit in den 1970ern, weswegen mich bis heute seltsame Musik mit Ohrwürmern plagt. Aufgewachsen in den 80er Jahren, einem Jahrzehnt, das nicht halb so grau war, wie die anderen glauben. Erste Kurzgeschichte mit 13, erster echter Romanversuch (nach pubertären Ausfällen) mit 17, die nachfolgende Schreibblockade habe ich mir mit Songtexten für die Kölner Psychobillyband "Boozehounds" vertrieben. Danach ging es wieder: Erster lesenswerter Roman mit 26, seither nicht mehr aufgehört.
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