schreckenberglebt: Wehrt Euch!

Gestern habe ich versprochen, Euch ein paar Tipps zu geben, wie Ihr einen guten Selbstverteidigungskurs für Frauen findet. Alsdann:

Zunächst einmal – wer gibt hier eigentlich Tipps. Kurz zu meinem Hintergrund: Ich beschäftige mich seit 1992 mit unterschiedlichen Kampfsportarten und Kampfkünsten, am längsten mit JuJutsu und Wing Tsun. Über diverse Lehrgänge habe ich weitere Systeme kennengelernt, darunter besonders erwähnenswert, aus meiner Sicht, Krav Maga. Ich hatte die Ehre, hier einen Lehrgang bei Eyal Yanilov machen zu können, der sehr, sehr aufschlußreich war. Nach einer längeren Pause habe ich vergangenes Jahr noch einmal angefangen, ein neues System zu erlernen, Inayan System III Eskrima.

Wichtiger aber für diesen Zusammenhang: Ich habe etwa 10 Jahre lang Selbstverteidigung für Frauen unterrichtet, in wechselnden Teams, zu dem aber die ganze Zeit über ein fester Kern aus meiner Frau, meinem besten Freund und mir gehörte. Wir haben unser eigenes System entwickelt, bei dem es uns, im praktischen Teil, ausschließlich auf praxistauglichkeit der Techniken ankam, wir haben aus alles Stilen die wir kannten und kennengelernt haben das genommen was uns tauglich erschien und das weggelassen, was unpraktisch oder schwer zu vermitteln war. So haben wir uns permanent weiter entwickelt. Für die Theorie haben wir mit der Kriminalpolizei zusammengearbeitet. Wir waren damit recht erfolgreich und haben am Ende sogar für einen Kampfsportverband Ausbilder ausgebildet. Am wichtigsten aber: Wir hatten Rückmeldungen von Frauen, die in unseren Kursen gewesen waren und sich später mit dem, was sie bei uns gelernt hatten, erfolgreich verteidigen konnten.

Aber: Es gibt dieses Team und unser System nicht mehr, wir haben vor ca. 12 Jahren den letzten Kurs gegeben. Die Gründe, aus denen wir aufgehört haben waren privat-familiär. Und fehlte einfach die Zeit, weiter Kurse zu geben und uns fort zu bilden.

Langer Rede kurzer Sinn: Ich weiß wovon ich rede und ich treibe hier keine Werbung für meine eigenen Kurse. 😀

Worauf also sollte Frau* achten, wenn sie sich für einen Selbstverteidigungskurs interessiert?

1.) Das Ausbilderteam ist gemischt aus Männern und Frauen. Warum Frauen dabei sein sollten ist offensichtlich: Wenn eine Frau die kämpfen kann behauptet und demonstriert, dass eine Frau kämpfen kann, dann wirkt das überzeugender als wenn ein Mann es sagt. Gerade Frauen, die unsicher und voller falscher Vorurteile über die eigene Schwäche (siehe auch gestern) in einen Kurs kommen fühlen sich sicherer, wenn sie eine Ausbilderin als Vorbild haben. Dass Frauen außerdem den alltäglichen Sexismus in unserer Gesellschaft besser kennen und erkennen als Männer ist ebenso klar – sie haben ihn allesamt schon irgendwo am eigenen Leib erfahren.

Ebenso wichtig ist aber, dass die Frauen im Kurs erfahren, dass sie sich gegen einen Mann durchsetzen können – und das geht nur, wenn auch männliche Ausbilder da sind. Wichtig ist, dass Männer und Frauen im Team gleichberechtig sind – weder sollten da Kerle mit weiblicher Hilfskraft für „Gefühlsdinge“ auftreten, noch Frauen, die zu Übungszwecken „den natürlichen Feind“ mitgebracht haben. Idealerweise ist das Team auch etwas gemischt, was das Alter der Ausbilder angeht. Muss nicht sein, ist aber ein Bonus.

2.) Wenn Ihr wirklich etwas aus dem Kurs mitnehmen wollt, dann sollte er lang sein. 5 x 2 Stunden sind meiner Meinung nach absolutes Minimum, bei uns waren es 10 oder 12 x 1,5 (Anfänger) beziehungsweise 8 x 1,5 (Fortgeschrittene). Die Zeit werdet ihr brauchen, denn ein guter Kurs hat viel Inhalt (siehe unten). Wochenendkurse und ähnliches sind nicht undbedingt schlecht und besser als nichts – aber sie alleine reichen nicht. Für Frauen, die ohnehin eine Kampfkunst betreiben oder sich mit der Absicht tragen, eine zu erlernen ist ein Wochenendkurs speziell für Frauenselbstverteidigung sicher nicht falsch. Für Frauen aber, die vorher und nachher keine Praxis in Selbstverteidigung haben wollen und werden reicht das nicht.

3.) Ein Selbstverteidigungskurs, der sich nicht auf eine Sportart oder eine Kampfkunst allein stützt, sondern einen Stilmix bietet, spricht dafür, dass die Ausbilder sich mit der Praxistauglichkeit dessen, was sie da vermitteln auseinandergesetzt haben. Es spricht überhaupt nichts dagegen, mal beim örtlichen Judoclub anzufragen, wenn der einen Selbstverteidigungskurs anbietet. Nur sollten dann in dem Kurs dennoch viele Tritte und Schläge vorkommen (die es im Judo nicht gibt), Würfe und Festlegetechniken (die im Judo wichtig sind) sollten hingegen völlig fehlen, da sie schwer zu vermitteln und in der Praxis eher nutzlos sind.** Fragt ruhig nach dem Stil, der im Selbstverteidigungskurs unterrichtet wird. Antworten, die Euch Vertrauen einflößen sollten klingen in etwa so:

„Wir gehen vom Ding-Dong-Mikado-Kung-Fu aus, lassen da aber alle komplizierten Techniken weg und haben dafür effektive Sachen aus anderen Disziplinen übernommen, zum Beispiel Bum-Bom-Do, Hacka-Au und dem österreichischen Gogerlnkloppen.“

Oder:

„Wir lehren keinen bestimmten Stil sondern effektive, praxistaugliche Techniken aus verschiedenen Disziplinen.“

4.) Der Kurs sollte einen Theorieblock enthalten. Darin mindestens folgende Punkte:

Vorurteile und Rollenklischees

Menschliche Anatomie – Angriffspunkte

Tätertypen und Täterverhalten

Notwehr- und Nothilferecht

Situationen erkennen und beurteilen

Sexualstraftaten aus polizeilicher Sicht

Vorbeugung.

5.) Im Praxisteil solltet Ihr die Möglichkeit haben Euch auszuprobieren – also auf einen Ausbilder so wie Ihr es gelernt habt einzuschlagen und einzutreten. „Schutzanzug“o.Ä.  ist hier das Zauberwort, das fallen sollte. Denn:

Was immer ihr in einem guten Kurs lernt wird kaum funktionieren, wenn ihr es zu Hause mit Eurem Freund oder Bruder ausprobiert. Dem wollt ihr nämlich nicht weh tun oder ihn gar ernsthaft verletzen.

Selbstverteidigung funktioniert aber über Schmerz und Verletzung. Also braucht ihr jemanden, der für Euch Körperschutz anzieht und auf die Matte geht. (Ja, es tut trotzdem weh, aber nicht ganz so schlimm, und die Verletzungen halten sich im Rahmen… *seufz* 😉 )

6.) Wichtig: Euer Bauchgefühl! Wenn Ihr Euch nach der ersten und zweiten Kurseinheit in der Gruppe und mit Euren Ausbildern wohl fühlt, wunderbar. Wenn nicht sollte es die Möglichkeit geben, auszusteigen und bis zu einem bestimmten Punkt (dritte Einheit, bei uns) auch das Geld komplett zurückzubekommen, das Ihr bezahlt habt.

WARNZEICHEN die Ihr beachten solltet – um entsprechende Kurse dann eben zu vermeiden:

1.) Wunderbare Versprechen:

„Nie wieder Angst durch unsere Ding-Dong-Selbstverteidigung!“

„Lerne Womens-Terror-Extermination und werde unbesiegbar!“

Finger weg, bitte.

2.) WAFFEN! Ganz wichtig. So weh es tut: Niemand kann Euch in wenigen Wochen beibringen Euch effektiv gegen ein Messer oder eine Schusswaffe zu verteidigen. Wenn ein Kurs verspricht, Euch gegen Waffen fit zu machen, meidet ihn, alles was ihr bekommt ist eine falsche Sicherheit und eine böse Überraschung im Ernstfall. Auch wer Waffen propagiert und Euch dazu bringen will, Pfefferspray, Messer, Schlagring oder Uzi mitzunehmen ist unseriös. Einzige Ausnahme: Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs als improvisierte Waffen. Wenn Ihr sowieso einen Schlüssel in der Hand habt ist es praktisch zu wissen, wie man ihn einsetzen kann***. Alles andere… bitte nicht.

3.) Selbstverteidigungskurse die ausschließlich ein System lehren. Siehe oben, Stilmix.

4.) Manche Kurse bieten einen praktischen „Abschlusstest“ in realer Umgebung, will sagen: Draußen auf der Straße, im Park oder sonstwo. Das hat SO viele Nachteile, dass ich sie hier gar nicht alle aufzählen kann. Ein Kampf mit einem Ausbilder im Kursraum als fester und wiederkehrender Kursbestandteil ist viel, viel besser. Und die meisten Taten finden sowieso in der Wohnung des Täters oder des Opfers statt. Da nützt einem der Abschlusstest im Stadtpark dann auch wenig.

5.) Prüfungen und Zertifikate am Ende sind sowieso sinnlos und zeugen von einem Denken bei den Ausbildern, das zu sehr im Kampfsport mit seinen Gürteln und Rängen verhaftet ist. Ausnahme natürlich: Teilnahmebestätigungen, wofür immer Ihr sie auch braucht.

Sooo… das war es im Groben, denke ich. Jetzt geht raus und kämpft. 😉

 

 

 

 

*Liebe Mitmänner, es ist eine tolle Idee, Eurer Frau, Freundin, Tochter, Mutter, Schwester etc. einen Kurs zu schenken, aber tut das bitte via Gutschein. Aussuchen sollte sie ihn, aus den oben genannten Gründen.

**Liebe Judoka, sorry, dass ich gerade Euch als Beispiel ausgewählt habe. Für Anfänger nutzlose Techniken gibt es auch im JuJutsu, Tae Kwon Do, Wing Tsun, Karate (!), selbst im Krav Maga… überall eigentlich.

***Nein, bitte klemmt ihn nicht zwischen Eure Finger. 😀

Über Mountfright

Autor und Öffentlichkeitsarbeiter, Mann und Vater, Leser und Filmfreak. Kindheit in den 1970ern, weswegen mich bis heute seltsame Musik mit Ohrwürmern plagt. Aufgewachsen in den 80er Jahren, einem Jahrzehnt, das nicht halb so grau war, wie die anderen glauben. Erste Kurzgeschichte mit 13, erster echter Romanversuch (nach pubertären Ausfällen) mit 17, die nachfolgende Schreibblockade habe ich mir mit Songtexten für die Kölner Psychobillyband "Boozehounds" vertrieben. Danach ging es wieder: Erster lesenswerter Roman mit 26, seither nicht mehr aufgehört.
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