Zunächst einmal aufgepasst:
*********** SPOILERWARNUNG **********
ACHTUNG – DER FOLGENDE TEXT ENTHÄLT SPOILER ZU MEINEM ROMANEN “DER WANDERNDE KRIEG – SERGEJ” UND „DER RUF“.
*********** SPOILERWARNUNG ENDE **********
So, nachdem ich Euch gewarnt habe (und Ihr immer noch dabei seid) öffnen wir das nächste Türchen… ähm… die nächste Schublade und finden darin:
Der wandernde Krieg – Erin (Was die Fortsetzung ist von „Der wandernde Krieg – Sergej„.)
Die Geschichte um Sergej war immer als Trilogie geplant und zwar als Trilogie innerhalb eines Geschichtenuniversums rund um Lagenrath und das Buch „Wege und Tore“. Bisher gibt es zwei Geschichten aus diesem Universum: „Sergej“ und „Der Ruf„. Abgesehen davon, dass das Buch in beiden Geschichten eine wichtige Rolle spielt hängen sie bisher noch nicht direkt zusammen, das wird sich aber ändern: Die Überlebenden aus dem „Ruf“ werden im dritten Teil der Sergej Trilogie wieder auftauchen.
Vor dem dritten aber kommt der zweite Teil – „Erin“. Ich habe angefangen diese Geschichte zu schreiben, als ich mit „Sergej“ fertig war obwohl ich wusste, dass ich Sergej und Erin erstmal verlassen wollte, um etwas anderes (den „Ruf“ eben, bzw. dessen erste Fassung – wir reden hier über das Jahr 2000, wenn ich nicht irre) zu schreiben. Aber ein paar Notizen wollte ich doch zu Papier bringen…
Aus den Notizen wurden drei Prologe (von denen ich einen inzwischen wieder gestrichen habe, die beiden anderen bleiben drin) und ein erstes Kapitel. Zu dem habe ich dann 2008, nachdem ich „Sergej“ (damals noch „Terra Incognita“) noch einmal gründlich überarbeitet habe, noch ein weiteres Kapitel geschrieben, das ist der heutige Stand. Oder auch nicht – ich habe zwar noch nicht viel an dieser Geschichte geschrieben, aber sie beschäftigt mich permanent. Abgesehen von dem Buch, an dem ich aktuell jeweils schreibe, denke ich über keine Geschichte so viel nach wie über diese. Sie ist für mich einerseits noch sehr im Dunkeln, ich habe ein paar „Wegmarken“ in der Handlung und natürlich die Grundidee, aber viel mehr nicht. Eigentlich weiß ich über den dritten Teil der Trilogie heute schon sehr viel mehr als über diesen zweiten, und das ist nicht ungefährlich. Denn ich will auf keinen Fall eines von diesen „Mittelbüchern“ schreiben, denen man anmerkt, dass sie eigentlich keine eigene Geschichte sind, sondern nur die Brücke zwischen dem Buch davor und dem Buch danach. Nein, das soll sehr wohl eine eigene Geschichte sein – aber sie ist verdammt spröde und macht es mir nicht leicht. 😉
Hier eine Leseprobe aus dem, was ich bisher habe. Und auch hier sei gesagt – das ist völlig roh, unkorrigiert, unlektoriert. Wenn das Buch dereinst erscheint liest es sich wahrscheinlich nicht ganz genauso, Ihr könnt ja vergleichen. 🙂 Los geht’s, wir treffen zwei alte Bekannte aus „Der wandernde Krieg – Sergej“:
Beginn der Leseprobe:
Anna verließ den Zug in Köln Süd. Auf dem Weg vom Bahnsteig nach unten dachte sie darüber nach, wie unwahrscheinlich es war, dass irgendjemand in Köln einen Selbstverteidigungskurs bei Sergejs Freundin machte, dann in das westfälische Kaff kam, in das es Anna verschlagen hatte und just in dem Moment im Wartezimmer eines Arztes einer Freundin davon erzählte, in dem auch sie dort war. Egal. Sie hatte gelernt, nicht an Zufälle zu glauben.
Sie irrte ein eine halbe Stunde durch die Südstadt, bevor sie sich eingestand, dass sie sich verlaufen hatte. Eine weitere Stunde brauchte sie um sich durchzuringen, jemanden nach dem Weg zu fragen. Eine Frau in ihrem Alter, offensichtlich Studentin, las die Adresse auf dem Zettel und wies ihr den Weg, es war gar nicht weit. Und dann stand sie vor dem Haus. Es war ein altes Haus in einer Front ähnlicher Häuser, typisch für die Gegend. Das große Fenster in Parterre war vergittert und von innen verblendet, die Blende zeigte die moderne, stilisierte Darstellung eines Tigers und eines Drachen. Darüber ein Schriftband mit der trockenen Selbstdarstellung, die Anna schon kannte: „Erin Simpson. Selbstverteidigung, Kampfkunst und Fitness für Frauen.“ Die Tür war ebenfalls von innen verblendet, diesmal mit einem bunten Tuch.
Plötzlich erstieg Anna die zwei Stufen zur Tür und drückte sie auf. Sie hatte sich so schnell ein Herz gefasst, dass sie selbst erstaunt war.
Nach dem abweisenden Äußeren war Anna auf einen muffigen, dunklen Raum hinter der Tür gefasst – sie wurde überrascht. Der Empfangsraum, in den sie trat, war hoch und hell, drei Fenster von denen sie gedacht hatte, dass sie zu einem oberen Stockwerk gehörten, ließen das herbstliche Mittagslicht herein. Der Raum war hell gestrichen, der Boden bestand aus hellem Holz. Neben der Tür hing eine Pinnwand mit allerlei Bekanntmachungen. Ein Treppenaufgang führte, der Beschilderung nach, zum „Büro“ und den „Hallen 2 und 3“, eine Tür zur Linken zur „Halle 1“, und „WC/Umkleide/Duschen“. Neben dieser Tür hingen von Kindern gemalte Bilder, ein beschriebenes Tape erklärte: „Grundschulprojekt Fitness“. Beherrscht aber wurde der Raum von einem großen Tresen, der ein Zwischending aus Bar und Empfangsschalter zu sein schien. Einige Barhocker standen davor, auf dem Tresen eine Karte, zwei Cocktailgläser, leer, aber einladend geschmückt. Eine kleine Pyramide aus Fitnessdrinks. Die Wand hinter dem Tresen war voll mit Diplomen die eine Menge Schriftzeichen enthielten, die Anna nicht lesen konnte und für chinesisch oder japanisch hielt. Ein paar schienen auch hebräisch zu sein. Lesbar waren immer wieder Namen: „Erin Simpson“ und „Volker Heerberg“, seltener „Bülent Ilgin“. Die wenigen vollständig lesbaren Urkunden behandelten Verdienste um Zumba, Fatburning und ähnliches und lauteten meist auf den Namen „Tanja Dachser“. Hinter dem Tresen war ein Südländer in Annas Alter damit beschäftigt, Papiere auszufüllen. Er blickte auf, als sie den Raum betrat, aber sie nahm ihn kaum wahr. Schnell fingen die Diplome an der Wand hinter ihm ihren Blick ein und der Name: „Erin Simpson.“ Anna orientierte sich kurz und ging dann zur Treppe. Ein leiser Pfiff stoppte sie.
„Ähm, junge Frau – wohin des Wegs?“
„Was?“ sie drehte sich um. Der Mann hinter dem Tresen schaute sie mit belustigter Verwunderung an. Er war sehr groß und schlank, das glatte schwarze Haar fiel ihm in Stirn und Nacken. Anna lächelte – und versuchte einen Bluff.
„Oh… äh… ‚tschuldigung. Du musst Bülent sein.“
„Derselbe, ja.“
„Tja… ähm… ich wollte zu Erin. Erin Simpson. Ist die da?“
„Ja. Worum geht’s denn?“
„Eine… Freundin von mir hat einen Kurs bei Euch gemacht. Und da wollte ich mich auch anmelden.“
Bülent lachte. „Ey, dafür brauchst Du nicht extra den Weg machen. Anruf genügt.“ Er grinste, sehr sympathisch. Anna bemerkte einen leichten Schlag in seiner Sprache, der sowohl kölsch wie türkisch sein konnte, als er weiter sprach: „Andererseits schön, dass Du vorbeischaust. Was darf‘s denn sein?“
„Selbstverteidigung.“
„Hmmm…“ er nickte und kramte ein paar Formulare hervor. „Du kannst Dich gleich hier bei mir anmelden. Wir haben da verschiedene Angebote, ganz neu ist…“
„Bitte…“ Sie sah ihn an. „Ich möchte lieber mit Erin… also… Frau Simpson darüber sprechen.“
Er erwiderte ihren Blick einen Moment und nickte. „Alles klar. Treppe hoch, im Gang links, zweite Tür.“
„Danke.“
Oben fiel es Anna nicht schwer, sich zu orientieren. Rechts neben der Treppe knickte der Gang ab, dahinter schien ein Trainingsraum zu sein, Anna hörte weiche, schnelle Schritte, leises, stoßartiges Atmen, ein Schatten war kurz an dem sichtbaren Stück der gegenüberliegenden Wand zu sehen. Sie wandte sich nach links, ging durch eine Glastür in einen düsteren Gang. Die zweite Tür war aus Holz, weiß gestrichen. Sie starrte die weiße Tür an, unsicher, ob sie vor der richtigen stand. Es gab keinerlei Aufschrift, kein Schild, nichts von „Büro“ oder „Privat“ oder „Erin Simpson“. Hinter der Tür war kein Laut zu hören. Die Hoffnung, vor der falschen Tür zu stehen gab Anna schließlich den Mut zu klopfen. Die Antwort kam sofort.
„Herein!“
Eine laute, klare Stimme. Anna schluckte, achtete nicht auf ihre zitternden Hände, drückte die Klinke und betrat den Raum.
Erins Büro war klein. Anna wunderte sich einen Moment dass ihre Schritte kein Geräusch machten, als sie eintrat, dann merkte sie, dass sie auf einem dicken, dunkelgrauen Teppich ging. An der linken Wand stand ein kleines Regal, das fast leer war. Nur auf dem mittleren der drei Bretter stand ein Holzkästchen. Es fing Annas Blick und hielt ihn fest.
Plötzlich, mit einem Mal, war dieses Kästchen das Wichtigste im Raum geworden. Anna musste es unbedingt ansehen. Sie ging zu dem Regal. Das Kästchen war ein geschnitzter Würfel aus dunkelbraunem Holz, vielleicht zehn Zentimeter Kantenlänge. Anna spürte Wunsch, es an sich zu nehmen und wusste kaum, weshalb sie sich mit Mühe zurückhielt. Es war rundum mit vielen geschnitzten Mustern verziert, ineinander verschlungene Bänder, etwas, das wie fremdartige, gekreuzte Schwerter aussah, Kronen, Sterne, einige der Muster erinnerten an Schachfiguren, Pferde, Türme, dann wieder Glyphen und geometrisch erscheinende Gebilde, viele weitere, scheinbar unzusammenhängende Symbole. Der Deckel zeigte eine kunstvolle, gruselige Schnitzerei: Ein Kreis aus Skeletten, die einer ewigen Reihe voreinander hergingen. Jedes hielt ein Schwert in der Hand, welches es dem vor ihm gehenden von hinten durch die Rippen stieß, und also wurde auch jedes von einem Schwert durchbohrt. Aus dem Kreis blickte ein Totenkopf. Anna kannte dieses Bild, sie wusste nur nicht, woher. Es hatte mit Sergej zu tun…
„Gefällt es Ihnen?“
Anna zuckte zusammen, Sie hatte den Grund Ihres Hierseins für einen Moment vergessen – und auch die Stimme, die sie hereingebeten hatte. Vor dem Fenster, an einem Schreibtisch, saß eine Frau. Sie war klein, aber drahtig und durchtrainiert, was trotz ihrer legeren, sportlichen Kleidung sofort zu erkennen war. Das kurze blonde Haar war scharf gescheitelt, der Blick, mit dem sie Anna betrachtete sollte freundlich sein – aber er hatte etwas Lauerndes. Anna fasste sich mühsam.
„Ja… äh… ja, gefällt mir sehr. Ich… ich interessiere mich für so… Holzschachteln.“
„Und deshalb sind sie hier?“
„Nein. Nein… Frau Simpson?“
„Erin Simpson, ja.“ Sie sprach mit einem leichten, englischen Akzent.
„Ich… ähm… ach so, ‘tschuldigung, ich heiße Anna… Rath.“ Anna ging zum Schreibtisch und streckte die Hand aus. Erin stand auf und drückte sie. Sie bewegte sich sparsam und geschmeidig, selbst bei dieser Alltäglichkeit.
„Und was führt sie nun zu mir – wenn es nicht meine Schachtel ist?“
„Ich möchte einen Selbstverteidigungskurs machen.“
„Oh.“ Erin schien für den Bruchteil einer Sekunde irritiert, dann wies sie mit der Hand auf einen Stuhl, der neben dem Schreibtisch stand.
„Klar. Setzen sie sich.“
Anna zog den Stuhl heran und setzte sich Erin gegenüber. Die hatte ebenfalls Platz genommen.
„Sie hätten sich die Mühe hier hoch zu kommen gar nicht machen müssen. Mein Mitarbeiter – Herr Ildrin – hätte das alles mit ihnen besprechen können. Da muss irgend etwas falsch gelaufen sein, sorry.“
„Nein, nein.“ Anna öffnete möglichst leise ihre Tasche, aber sie sah sofort dass ihr Gegenüber das Knacken bemerkt hatte. „Ich… ich wollte mit Ihnen sprechen.“
„Oh. Ja dann – worum geht’s denn?“
Anna tastete nach der Pistole und merkte, wie ihre Hände vor Angst taub wurden. Sie spürte Schweiß auf ihrer Stirn.
„Es ist… äh… ein wenig heikel. Ich… ich… sie machen auch spezielle Selbstverteidigungskurse?“
Erin lächelte: „Wenn Sie mir sagen, was sie mit speziell meinen?“
Anna hatte die Pistole gefasst und zog. Ihr Labello und das Notizbuch hatten sich verkanntet, sie bekam die Waffe nicht heraus. „So… ich meine…“
„Haben Sie ein Problem mit Ihrer Tasche?“
Mit einem plötzlichen Gewaltakt riss Anna die Pistole heraus. Die Tasche flog in den Raum hinter ihr, sie verrutschte mit dem Stuhl, taumelte, der Stuhl fiel um und Anna sprang auf. Mit weit aufgerissenen Augen stand sie vor dem Schreibtisch, die Pistole am starr ausgestreckten Arm auf Erin gerichtet und schrie:
„Wo ist Sergej? Wo ist Sergej Hoffrichter? Sagen Sie mir das, oder ich schieße.“
Erin blieb völlig ruhig. Sie hob nur sehr langsam die Hände vor die Brust, die geöffneten Handflächen Anna zugewandt. Eine Geste der Beschwichtigung. Anna hatte mit dieser Ruhe gerechnet. Womit sie nicht gerechnet hatte, war die große Freundlichkeit und Güte, die ihr Gegenüber plötzlich ausstrahlte.
„Sie müssen die Waffe entsichern.“
Anna schüttelte wild den Kopf. „Die hat gar keine Sicherung. Keine… keine Tricks. Wo ist Sergej?“
Erin grinste breit.
„Einen Versuch war’s wert, oder?“
„Wo?! Ist?! Sergej?!“
„Wie geht es Deiner Mutter, Kleine?“
„Meiner… was?“
Ein lauter Knall ertönte, Anna zuckte zusammen und während sie noch zu erfassen versuchte, was passierte, bewegte sich Erin Simpson. Irgendetwas sagte Anna, dass sie nur den Finger krümmen bräuchte, und während sie versuchte zu begreifen, was da eben so geknallt hatte, versuchte ihre Hand zu tun, was der Schreck ihr eingab. Sie krümmte den Finger zitternd, plötzlich war da ein Widerstand und dann schlug etwas gegen ihr Handgelenk und ihren Handrücken, die Hand öffnete sich und die Pistole flog gegen die Wand. Ein fürchterlicher Hieb traf sie unterhalb der Brust, Anna rang nach Luft und versuchte, sich nicht zu übergeben. Ihre Haare wurden gepackt und ihr Kopf schlug auf den Schreibtisch. Immer noch würgend spürte Anna, wie ihre Tränen zu fließen begannen, und nicht nur wegen des Schmerzes. Es war vorbei. Alles. Alle Hoffnung. Sie versuchte, den Kopf zu bewegen, um besser atmen zu können, aber er wurde nur noch unbarmherziger auf die Tischplatte gedrückt.
„Locker bleiben, Kleine.“ Da war nichts mehr von Freundlichkeit und Güte. Da war nie etwas gewesen, wusste Anna jetzt. Zu spät.
„Erin, alles okay?“ Eine Stimme vor der Tür.
„Oh ja. Mach Dir keine Sorgen, Volker.“
„Echt?“
„Ja.“
Anna schluchzte.
„Na, na, wer wird denn heulen, hm?“
Etwas kaltes, schmales wurde gegen ihren Hals gedrückt, Anna spürte einen stumpfen Druck auf einer dünnen Linie. Sie wusste, dass das stumpfe Gefühl eine Täuschung war, sie musste die Augen kaum bewegen, um das Messer zu sehen.“
„Wer bist Du, wer schickt Dich. Schnell!“
„Niemand schickt mich.“
„Kleine, Du bist offenbar nicht sonderlich clever. Nochmal: Wer schickt Dich, wer bist Du?“
„Keiner!“ Annas Stimme brach, es war ihr egal. Sie hatte verloren, diese Frau würde sie umbringen. Was vielleicht gar nicht so schlecht war. Dann wäre all diese Scheiße wenigstens vorbei.
Erin seufzte. „Hör zu! Irgendjemand hat Dir einen Namen gesagt und Dich mit dieser Pistole zu mir geschickt. Du hältst das vielleicht für einen Spaß, es ist keiner. Ich kann jede Antwort aus Dir herausholen, die ich hören will. Also…“
„Mich schickt keiner!“ Anna versuchte zu schreien, aber sie konnte es nicht, Rotz und Speichel erstickten ihre Stimme. „Ich heiße Anna Knipprath und ich will wissen, wo Sergej Hoffrichter ist. Es ist mir egal, ob sie mir das glauben.“
Zu Annas grenzenloser Verwunderung lockerte sich der Druck des Messers auf ihren Hals. Erin zog sie an den Haaren hoch, aber so sanft wie möglich, es tat kaum weh. Dann sahen sie sich in die Augen. Erins Gesicht war ganz nah und Anna sah zum ersten Mal die vielen, tiefen Falten um die Augen, die nicht zu dem jungen Gesicht passten. Es konnten Lachfalten sein, aber es waren keine, wie Anna wusste.
„Anna Knipprath?“
„Ja.“
Erin ließ sie vorsichtig los, legte das Messer aus der Hand, öffnete eine Schublade und holte eine Pistole heraus, alles in einer raschen, fließenden Bewegung. Die Waffe sah besser aus als die, die jetzt an der Wand lag. Glatter, sauberer, schöner, gefährlicher. Erin richtete die Pistole auf Anna, aber sie bewegte sich so locker, dass die Geste fast nicht bedrohlich war.
„Hast Du einen Ausweis oder sowas, Anna Knipprath?“
Anna begann zu glauben, dass das kein Trick war. Nicht wie die plötzliche Wärme und Freundlichkeit vorhin. Erin wirkte immer noch gefährlich und entschlossen in jeder Bewegung – aber etwas von der tödlichen Kälte war fort. „In Deiner Tasche?“
„Ja.“
„Hol sie. Und mach bitte keinen Quatsch.“
„Ja. Klar.“
Anna ging zu ihrer Tasche, kramte ihre Brieftasche heraus, nahm den Ausweis, brachte ihn zurück und legte ihn auf den Tisch. Erin warf nur einen flüchtigen Blick darauf.
„Okay. Ich lasse Dir die Wahl, Anna. Du kannst Deine Tasche nehmen und gehen. Oder Du kannst Dich setzen, und wir unterhalten uns ein bisschen. Was möchtest Du?“
Anna sah sie vorsichtig an und nickte. „Reden,“ sagte sie leise.
„Okay.“ Erin nickte und sah zufrieden aus. „Wie geht es Dir? Merkst Du noch was von dem Schlag?“
„Schon. Ist nicht so schlimm.“
„Gut. Dann setz Dich. Und leg bitte beide Hände auf den Tisch.“
Anna hob den Stuhl auf, schob ihn zum Schreibtisch und setzte sich. Ihr Blick fiel auf die Uhr an der Wand. Es waren keine fünf Minuten vergangen, seit sie den Raum betreten hatte.
Erin setzte sich ebenfalls und legte die Pistole aus der Hand. In bequeme Reichweite, wie Anna nicht entging.
„Du weißt, wer ich bin?“
Anna nickte. „Sie… Du… Sie…“
„Du.“
„Du bist Sergejs Freundin. Warst Sergejs Freundin.“
„Das ist richtig. Und ich weiß, wer Du bist. Du gehörtest zu diesem Zirkel um Recha und Andreas. Sie sind alle damals gestorben. Außer Recha und Dir.“
„Sie sind nicht gestorben. Sie sind ermordet worden. Und es war nicht mehr Andreas Zirkel. Es war Sergejs. Ohne Sergej hätten wir sowas… sowas nie gemacht. Er hat uns dazu gebracht. Und dann war er plötzlich weg. Und sie haben uns… sie haben alle umgebracht. Thomas… meinen Freund…“
„Ach so.“ Erin nickte nachdenklich. „Das wusste ich nicht, dass er Dein Freund war. Tut mir…“ sie zuckte mit den Schultern und sah Anna offen und traurig an. „Klingt blöd, aber tut mir leid.“
„Schon gut.“
„Und jetzt suchst Du Sergej. Warum?“
„Ich… ach egal.“
„Du willst Dich rächen?“
„Weiß nicht. Ja. Ich will wissen warum. Ich will, dass er… dass er stirbt. So stirbt wie Thomas.“
Erin nickte wieder. „Verstehe ich. Gut, Anna, ich will Dir sagen, was ich weiß, zumindest sofern es für Dich interessant ist. Zuerst einmal: Ich weiß nicht, wo Sergej ist. Ich habe ihn in dieser Nacht verloren… ich habe ihn verloren, und ich suche ihn seither. Ich habe ihn nicht gefunden. Und was Deine Rache betrifft – vergiss das. Du wirst ihn nicht überwältigen können, geschweige denn töten.“ Sie schwieg eine Weile. „Ich glaube nicht, dass überhaupt jemand ihn töten kann,“ sagte sie dann leise.
Anna sah sie erstaunt an. „Was meinst Du?“
„Hast Du ihn in dieser Nacht gesehen?“
„Nein. Ich glaube, er war gar nicht da.“
„Oh doch, und ob er da war. Die Brände, die Explosion im Gut, die vielen Toten in Neurath. Oh ja, er war da. Ich habe ihn gesehen Anna. (…)“
Ende der Leseprobe.
Morgen mache ich mit „Königskinder“ weiter – wir bleiben also in Langenrath. 😉
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