Meine Zeit, 5. Oktober???? Ja, richtig, da habe ich das letzte Mal in meinen Blog geschrieben. Am selben Tag bin ich für zwei Wochen nach Zeeland gefahren (wo sich einige alte Pläne und neue Eindrücke zu einer gewaltigen Geschichtenidee zusammensetzten, aber dazu ein andermal – in zwei Jahren oder so 😀 ) und als ich dann zurückkam, ist mein neuer Roman erschienen und ich hatte Lesungen und, und, und, und – wenig Zeit für den Blog. Tut mir leid, da bin ich wieder.
Und um den neuen Roman soll es heute gehen – er heißt „Der wandernde Krieg: Sergej„, und dies ist Teil 4 von „how I met my stories“. Ich habe über dieses Buch hier im Blog zuweilen schon geschrieben, habe auf eine Leseprobe hingewiesen (inzwischen gibt es auch ein paar geschnittene Szenen) und schon einmal über die fiktive Stadt Langenrath geschrieben. Langenrath hat inzwischen übrigens eine eigene Website, in der Presseabteilung der Stadt basteln sie aber noch am Inhalt. 😉
Ganz zu Beginn dieses Blogs habe ich über die Wurzeln des Finders, des Rufs und der Träumer geschrieben. Die Idee zu diesem Roman, der sehr lange „Terra Incognita“ hieß, den ich direkt nach der ersten Version des „Finders“ schrieb (und diese erste Version war eine Novelle, was „Sergej“ eigentlich zu meinem ersten echten Roman macht) ist die Zweitälteste überhaupt. Älter ist nur die Inspiration zum „Ruf„, und die musste sich erst mit einer anderen Idee verbinden, um das Buch zu werden, das sie heute ist. Interessanterweise führten diese beiden ältesten Ideen zu verwandten Büchern – Ruf und Sergej spielen zum Teil in Langenrath, in beiden geht es um den „Wandernden Krieg“, in beiden spielt das Buch „Wege und Tore“ von Darius von Delft eine Rolle.
Die ursprüngliche Idee, die zu Terra Incognita / Sergej brauchte hingegen keinerlei Zusatz. Im Gegenteil – sie ist, als Text, fast völlig verschwunden. Aber das ist egal – die Figur ist geblieben. Und sie hat, letztlich folgerichtig, dem Roman seinen Namen gegeben.
Am Anfang war ein Bild. Es kam mir in den Kopf als ich, 16 oder 17jährig, genau weiß ich das nicht mehr, beim hausinternen Radiosender eines Leverkusener Krankenhauses arbeitet („Radio Remigius“). Ich hatte den Sender kennengelernt, als ich selbst mit einem Bänderriss im Krankenhaus lag (ja, Kinder, so war das damals, in den 1980ern, mit einem Bänderriss im Fußknöchel kam man ins Krankenhaus, und zwar für ZWEI WOCHEN!!! Und danach in russische Gefangenschaft und dann… ach nee – das war noch zwei Generationen früher 😀 ). Nun gut, ich hörte diesen Sender, und die hatten nur eine einzige Sendung mit guter Musik und ansonsten nur Müll und die suchten noch Leute und ich dachte – das ist was für mich.
So kam es also, dass ich ein oder zwei Jahre später im Studio saß, und plötzlich diese Idee hatte. Es muss ein Sonntag gewesen sein, denn die Sonntagssendungen waren so, dass ein Moderatortechniker sie alleine fahren konnte. Am Samstag hätte ich eine(n) Co-Moderator(in)/Techniker(in) gehabt, und mit ihm/ihr geschwatzt, aber Sonntagssendungen waren ruhiger, mehr und längere Musik, die konnte man alleine machen. Und da war plötzlich dieses Bild:
Eine Straße, einsam. Am Straßenrand ein Auto. Ein Mann kommt und steigt in das Auto, er weint. Es sind Tränen der Trauer und der Erleichterung. Er hat gerade eine schreckliche Aufgabe beendet, eine Rache, und kann nun um die trauern, die er gerächt hat.
Ich schrieb – unterbrochen von gelegentlichem Plattenauflegen (ja, Schallplatten! Aus Vinyl! Es ist eine wirklich ALTE Geschichte) und kurzen Moderationen, ein Kapitel einer Geschichte. Der Mann kämpft sich durch eine Wildnis zu einem verlassenen Haus. Er weiß, was in diesem Haus passiert ist und er ahnt, was er dort noch finden wird. Er betritt das Haus, ich beschrieb Zimmer für Zimmer, seine Gedanken, seine Erinnerungen. In einem letzten Zimmer vernichtet er etwas Böses endgültig – und findet etwas, das er mit sich nimmt. Dann verlässt er das Haus, setzt sich in seinen Wagen, weint und fährt die Straße entlang davon.
Es war ein langes Kapitel, viel arbeit, und es war gut geschrieben. Gerade für einen Jugendlichen, der – nach einigen guten Kurzgeschichten – gerade einen grauenhaft schlechten dystopischen Roman schrieb, der kurz darauf gottlob für immer in der Schublade verschwand. Aber dieses Kapitel, das damals noch für sich ganz alleine stand, war gut. Im Roman, zu dem es wurde, ist fast nichts davon geblieben, dies ist der Rest:
„Der Zirkel hatte sich damals immer in einer Villa im Wald getroffen. Die Beschreibung, die ich aus einigen meiner ersten Ofer herausgeholt hatte, war so plastisch gewesen, dass ich den Ort gekannt hatte, bevor ich ihn selbst aufgesucht hatte. Als ich es dann tat, war die Villa verlassen gewesen. Ich hatte mich fast eine Stunde durch das Gehölz geschlagen, um sie zu finden. Ich hatte sie in Brand gesteckt, nachdem ich sie untersucht hatte. Ein Tag, an den ich gerne zurückdachte.“
Ein paar dürre Worte, eine Fußnote in einem Kapitel, in dem es um etwas ganz anderes geht, das im Buch einen Vorgeschmack auf den Showdown liefert und in dem sich zwei Hauptfiguren erstmals begegnen. Das bleibt von der Kernidee einer Geschichte und einem Nachmittag handschriftlicher Arbeit.
Aber nein – das ist natürlich nicht alles. Im Gegenteil – alles andere ist noch da. Die Idee hat sich ausgedehnt zu einem Roman, meinem besten bisher, finde ich. Diese Suche im Wald, das leere, gruselige Haus, hat sich zu einer viel größeren, epischen Suche Sergejs ausgeweitet, einerseits nach den Mördern seiner Frau (das Rachemotiv ist geblieben), andererseits nach sich selbst. Das gefundene Artefakt ist im Roman geblieben und der Endkampf, der zu einer Schlacht geworden ist. Und etwas sehr Wichtiges ist ebenfalls geblieben: Eines der Zimmer in diesem Haus war ein Tor in eine andere Welt. Dorther war das Böse gekommen, dass der Mann in meinem Kapitel vernichten musste. Dieses „Anderswo“ war damals weder beschrieben noch ausgearbeitet, aber es war da – der „Wandernde Krieg“ war also ebenfalls von Anfang an in der Geschichte.
Der Wandernde Krieg ist zu einem Grundmotiv geworden, er und seine Spuren in unserer Welt beherrschen zwei meiner vier bereits veröffentlichten Romane, zwei Romanfragmente in meiner Schublade und mindestens drei weitere Ideen. „Sergej“ selbst ist als Beginn einer Trilogie angelegt (aber selbstverständlich in sich abgeschlossen).
Mich hat dieses Kapitel und die Idee dahinter viele Jahre lang verfolgt, bis ich endlich die Kraft und Gelegenheit hatte, den Roman zu schreiben, der heute daraus geworden ist. Ich habe 1998 damit begonnen – drei Tage nachdem die erste Version des „Finders“ fertig war, und hatte den first Draft 1999 fertig. Der unterschied sich in wichtigen Details noch von dem Roman, den Ihr heute (hoffentlich! 😉 ) lest, aber im Kern stand er damals schon so, wie er heute steht. Das unterscheidet ihn vom „Finder“ zu dem ich vor der Veröffentlichung noch fast ein Drittel hinzu geschrieben habe: Die Siedlergeschichte am Anfang, die viele Leser heute so mögen, war damals nur zwei oder drei knappe Kapitel lang. An Sergej / TI habe ich noch sehr viel UMgeschrieben. Ich hatte den Roman in einem Internetforum mit einer geschlossenen Gruppe diskutiert und die Anregungen und die Diskussionen, die ich dort führte, führten dazu, dass ich mich 2008 für eine Woche in Zeeland (sic!) vergrub, dort, wo ich auch schon die erste Version des Finders beendet hatte, und umschrieb. Diese Überarbeitung betraf vor allem den Anfang, den ich nicht gut recherchiert hatte, Rechas Liebesgeschichte und die Folterszenen, die ich ein wenig… hm… abwechslungsreicher gestaltet habe. Außerdem bekam das ganze Buch einen Brushup, damit war ich eine Woche gut beschäftigt. Daher war es so, dass ich im Lektorat dieses Jahr nur noch ein wenig kürzen musste und eine gute Idee meines Lektors umgesetzt habe – und fertig war „Sergej“.
Sergej – das Buch heißt in meinem Kopf immer noch „Terra Incognita“. Der Verlag hat mich davon überzeugt, es anders zu nennen, vor allem, weil der Begriff im Buch nur ein einziges Mal auftaucht. Hier:
„Das bedeutet auch, dasz jede Wissenschavt, di das wahre Wesen der Welt zu erkennen versucht, gantzlich eytel ist, die Eytelkeyt dumper Menschen. Denn das, was dise Wissenschavt tzu ervorschen sucht, wyrd immer eyne Terra Incognita seyn, di keyn Schiff erreychen kann.“
So spricht Darius von Delft (übrigens auch schon im „Ruf“) und dies ist der Kern der Erfahrung, die meine Figuren in diesem Roman machen. Denke ich. Aber wahrscheinlich ist der Titel damit wirklich zu sehr um die Ecke gedacht, zu tief in der Hintergrundmythologie der Hintergrundmythologie (nein, das ist keine unbeabsichtigte Wiederholung 😀 ) meiner Geschichten, die ich nicht erkläre, weil ich keine philosophischen Abhandlungen schreibe, sondern Unterhaltungsromane.
Und ich hoffe, „Sergej“ unterhält Euch gut. 🙂
Schön! Das Einzige, was für mich ein Dorn im Auge ist ist eigentlich der Name des Haupthelden. Der Name „Sergej“ ist sehr, sehr verbreitet im russischen Sprachbereich, etwa so verbreitet, dass ungefähr ein Drittel von meinen Schulkollegen, die slawische Eltern hatten, hatten die Väter, die Sergej hießen. Daher ist es ein guter Name, aber so häufig, dass der fast nichts mehr sagt. Irgendwie wenn man einen Roman über einen reisenden Krieger namens Sepp oder Hanno oder Fritz oder Kevin schreiben würde. ich meine es als keine pfiffige Kritik, eher dass es mich persönlich beim Lesen etwas stören würde. Aber es stimmt schon, dass es Geschichten gibt, die sich rund um einen gewissen Namen drehen, daher würde ich sagen, wenn dies der fall ist, soll der Name beibehalten werden.
Einen schönen Tag!
Ani
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Dir auch einen schönen Tag! 🙂
Es ist ja ein Deckname – von daher sollte er eher unauffällig, also gewöhnlich sein. Als er einmal – ganz zu Anfang seiner Flucht – überraschend nach seinem Namen gefragt wird, nennt er sich sogar „Hans Müller“. 😀
In Wirklichkeit heißt er Sebastian Kant. Da er unter diesem Namen aber gesucht wird und seine falschen Papiere auch auf Sergej lauten, hat er sich im Laufe der Zeit angewöhnt, nur diesen Namen zu verwenden.
Viele Grüße
Michael
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Na gut, als ein Deckname geht Sergej wirklich sehr gut! Echt. Hoffentlich war mein Kommentar gut angekommen, ich habe es nur gut gemeint 😉
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Klar ist der gut angekommen lucyrenard. Du hast mein Blogbeitrag gelesen, darüber nachgedacht und mir etwas dazu geschrieben. Insgesamt sehr erfreulich für mich. Gut – es war etwas Kritisches, das Du angemerkt hast. Aber nett, freundlich und nachvollziehbar. Alles Gut. 🙂
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