schreckenberglebt: Die Einsamkeit des Schriftstellers – zum letzten Mal CRIMINALE 2012

Donnerstag, 19 Uhr. Vor einer Woche saß ich im Auto, unterwegs nach Sundern-Enkhausen, um mir von Peter Godazgar im dortigen Heinrich-Lübke-Haus seine Kurzgeschichte „Jupp ante portas“ vorlesen zu lassen. Eine sehr gute Geschichte übrigens, Godazgar-typisch lustig, bis man dann im allerletzten Moment merkt, was da passiert. Ich werde nicht spoilern, ihr solltet sie lesen – es lohnt sich. Zu dem Zeitpunkt war ich immer noch nicht sicher, was diese CRIMINALE für mich bringen würde. Am Abend vorher hatte ich die Eröffnungsveranstaltung früh verlassen, vor allem des Wetters wegen (Heimfahrt bei Nacht und Regen im Sauerland – vielen Dank! Ich habe in diesen Tagen auch gelernt, dass ich, Bergisches Land hin, Zeeland her, doch ein Stadtmensch bin. Ich halte zum Beispiel sehr viel von Fahrbahnmarkierungen.), aber auch, weil ich mir fremd vorkam unter all diesen Leuten, die sich scheinbar so gut und lange kannten. Am Donnerstagmorgen war dann die Pressekonferenz zum Start der Initiative „Ja zum Urheberrecht“. Schon da kam ich mir nicht mehr ganz so fremd vor. Zum ersten mal konnte ich das spüren, was mir vorher alle über das Syndikat bzw. die CRIMINALE-Teilnehmer gesagt hatten: dass es eine echte Zusammengehörigkeit gibt, ein Gefühl der Kameradschaft und Gemeinschaft, das über alles, was man mit dem Begriff „Berufsverband“ verbindet, weit hinaus geht. Gut – in diesem Fall war das auch einfach. Gegen die Ichlinge die glauben, das Recht zu haben, Kunst kostenlos zu konsumieren, gegen die Vereinfacher, die den Unterschied zwischen Urheberrecht, Verwertungsrecht und Nutzungsrecht nicht einmal kennen aber einfach mal das Urheberrecht aushebeln wollen, gegen die faschistoiden Feinde der Kreativität, die die Existenz geistigen Eigentums schlicht leugnen, sitzen natürlich alle Schriftstellerinnen und Schriftsteller in einem Boot. Aber das ging weiter – am späteren Abend bejubelten wir in Arnsberg die neu gegründete Syndikats-Band „Hands Up! and the Shooting Stars“ mit meiner CRIMINALE-Patin Sandra Lüpkes als Frontfrau und meinem Bergischen Kollegen Oliver Buslau, der nicht nur Bratsche und Piano spielte, sondern zwischendurch auch aus seiner Kurzgeschichte „Im Keller“ (selbe Anthologie wie „Jupp…“) las. Es ist immer ein gutes Zeichen, wenn man mit der selben Gruppe Menschen gemeinsam kämpfen UND feiern kann.

Und es wurde immer besser und besser – bis ich am Ende so CRIMINALE-süchtig war, dass ich mir gewünscht hätte, sie wäre weiter gegangen, immer weiter, noch zwei Tage, noch eine Woche, noch einen Monat. Und das lag – so schön die waren – nicht an den Lesungen, weder an meiner eigenen noch an denen anderer, nicht an den Vorträgen oder Gemeinschaftserlebnissen wie der rituellen Betrauerung des FC Criminale (2:4 gegen die Damenmannschaft des SV Thülen, so jetzt ist es raus), nicht an der Gala anlässlich der Verleihung des Friedrich-Glauser Preises. Es lag an den Menschen.

Das letzte Mal, dass ich mich in einer großen Gruppe zunächst Fremder (mehr oder weniger) so wohl gefühlt habe kann ich genau benennen: Es war 2004, anlässlich eines mehrtägigen Treffens der Mitglieder einer Online-Literatengruppe. Wir waren alle jung, zwischen 16 und 35, glaube ich, und hatten alle unsere erste Veröffentlichung noch vor uns. Was uns einte war, dass wir alle schrieben – Prosa oder Lyrik – mit dem Wunsch, es professionell zu schaffen. Das Forum war nur ein kurzer Abschnitt in meinem Leben – verglichen mit anderen Abschnitten in den ich mit größeren Menschengruppen zu tun hatte, wie zum Beispiel Schulzeit oder Kampfkunst. Aber wenn ich heute jemanden aus dieser Zeit treffe, dann verbindet uns immer noch mehr, als mich mit den meisten meiner ehemaligen Mitschüler verbindet. Außerdem verdanke ich der kurzen Forumszeit meine engste Freundin.

Wieso diese spontane und enge Bindung unter Schreibenden? Gelten wir nicht als extrem eitles Völkchen, in dem jeder ein Star sein möchte? Doch, schon. Einen uneitlen Schriftsteller kann ich mir kaum vorstellen. Aber das Schreiben ist eben in aller Regel auch ein einsames Geschäft. Die Ideen, von denen Piraten und Konsorten glauben, sie seien nicht unser geistiges Eigentum, kommen eben nur uns und uns alleine, meine Figuren sprechen nur zu mir. Natürlich gibt es Schreibteams, unter Drehbuchautoren häufiger als unter Prosaautoren (und unter Lyrikern fast gar nicht). Aber auch in einem Team werden originäre Ideen zu einer gemeinsamen Geschichte verbunden. Und unter den Prosaschreibern sind die Teams auch, wie gesagt, eher die Ausnahme als die Regel. Wir schaffen und verändern ganze Welten, wir bewegen uns darin, wir fühlen und leben mit unseren Figuren und all das – allein. Und wenn wir dann unter Menschen gehen, wenn wir recherchieren oder mit unseren Verlagen planen oder für unsere Leser lesen, dann sind wir immer noch im Grunde alleine. Das ist absolut nicht schlecht! Ich lese sehr gerne und freue mich auf jedes Treffen mit meinen Lesern, was wäre ich ohne Leser? Und ich mag gute Recherchegespräche. Und die Treffen mit meinem Verleger, oft sehr familiär an seinem oder meinem Frühstückstisch, sind fast immer erfreuliche und fruchtbare Gespräche. Und natürlich ist es so, dass viele Leser auch selbst schreiben, ich habe sogar einen schreibenden Verleger. Aber das ändert nichts – in der Situation sind wir in unterschiedlichen Rollen.

Ich weiß, dass es Autorinnen und Autoren gibt, die genau das wollen. Ich aber bin für mein Leben gerne unter Schreibervolk. Da bin ich eben nicht anders. Da verstehen die Leute ohne viele Worte Dinge, die ich anderswo lange erklären muß oder gar nicht erst erwähne. Da merke ich plötzlich – um Peter Godazgars großartige Eröffnunsgrede von der CRIMINALE zu zitieren – dass es viele Menschen mit genau den selben seltsamen „Neigungen“ gibt, die ich auch habe. Da bin ich bei meinem Stamm – dem uralten und überaus edlen Stamm der Geschichtenerzähler. 😉 Wir können sehr gut gemeinsam eitel sein!

Aber was ist denn mit den Übereitlen, denen, die überall die Spitze sein wollen, andere (insbesondere auflagenschwächere) Schriftsteller als niederes Volk ansehen und beleidigt sind über jeden Preis, den sie nicht erhalten? Oh, die gibt es, und nicht zu knapp. Aber Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass die sich fünf Tage CRIMINALE antun! 😀

Die CRIMINALE 2012 ist Geschichte. Vor mir liegt – mit etwas Glück, der Verlag liest gerade – ein schriftstellerisches Projekt, das mir ungeheuer wichtig ist. Wenn es etwas wird, werde ich dem Krimi kurz den Rücken kehren, ich schreibe eben in mehreren Genres. Aber meine erste CRIMINALE wird nachbeben – ich habe Ideen für einige Kurzgeschichten, in einer davon werde ich meinen ersten Besuch am Sorpesee als Jugendlicher mit der CRIMINALE verquicken. Wahrscheinlich wird es eine Horrorgeschichte, aber ich bin so oft von Sundern nach Olsberg gefahren, dass ich unterwegs Ideen für eine ganze Anthologie gesammelt habe, Horror, Krimi, alles. Das Sauerland wird mich so bald nicht verlassen.

Und egal, ob mein nächstes Buch wieder ein Krimi wird oder erst mein Übernächstes – dem SYNDIKAT werde ich nicht den Rücken kehren. Das SYNDIKAT ist nicht Geschichte für mich – das fängt gerade erst an. 🙂

Über Mountfright

Autor und Öffentlichkeitsarbeiter, Mann und Vater, Leser und Filmfreak. Kindheit in den 1970ern, weswegen mich bis heute seltsame Musik mit Ohrwürmern plagt. Aufgewachsen in den 80er Jahren, einem Jahrzehnt, das nicht halb so grau war, wie die anderen glauben. Erste Kurzgeschichte mit 13, erster echter Romanversuch (nach pubertären Ausfällen) mit 17, die nachfolgende Schreibblockade habe ich mir mit Songtexten für die Kölner Psychobillyband "Boozehounds" vertrieben. Danach ging es wieder: Erster lesenswerter Roman mit 26, seither nicht mehr aufgehört.
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3 Antworten zu schreckenberglebt: Die Einsamkeit des Schriftstellers – zum letzten Mal CRIMINALE 2012

  1. Maria Bertha schreibt:

    Es sitzen, mit Verlaub, nicht alle Schriftsteller in einem Boot wenn es darum geht das aktuelle Urheberrecht zu stützen. Es kommt schon stark darauf an in welcher Sozialisation und Mentalität man aufgewachsen ist oder welche Einsichten man durch die Internetära dazugewonnen hat.

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  2. Mountfright schreibt:

    Hallo Maria,

    danke für den Kommentar, und okay, machen wird das Fass auf. 😀 Nachdem Du schon zu wissen glaubst, auf welche Weise ich sozialisiert bin: Erkläre mir doch mal, inwiefern, in Bezug auf das Urheberrecht (!!), NICHT alle Schriftsteller in einem Boot sitzen. Aber Vorsicht: Sauber unterscheiden von Verwertungs- und Nutzungsrechten.

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  3. Pingback: schreckenberglebt: CRIMINALE 2014 – die Grenzen des Wachstums | schreckenbergschreibt

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