schreckenbergschreibt: Sag mir, wo der Horror ist.

Es gibt so Fragen, die kommen oft:

Auf der Party: „Ah, Schriftsteller?! Und was schreibst Du so?“

Im Kollegenkreis: „Und was schreibst DU so?“

Nach der Lesung: „Schreiben Sie nur Krimis / Fantasy / Endzeit?“ (Letztere je nachdem, wie die Leute den „Finder“ einordnen – und wieso eigentlich nur?)

Ich gebe normalerweise eine Variation dieser Antwort: „Ich schreibe Krimis und Phantastische Literatur. Da vor allem Horror, aber mein erster veröffentlichter Roman ist eine Endzeitgeschichte. Manchmal auch SciFi*, aber selten.“

Damit habe ich mein gesamtes vergangenes und vermutlich auch künftiges belletristisches Hauptwerk in wenigen Worten zusammengefasst. Vor allem aber habe ich das BÖSE WORT gesagt, und die Reaktion, die darauf folgt, ist ganz oft eine Version hiervon:

„Horror… kann ich ja nicht… so blutig.“

Hä?

Wenn ich, wie jetzt, an meinem Schreib- und Arbeitstisch sitze, schaue ich auf MEINE Bücherregale. Es sind, wie die Buchhändlerin die ich liebe sagen würde, zwei „Achsen“, und sie sind nur ein Bruchteil der Bücherregale, die unsere Wohnung füllen (von den regallosen Bücherstapeln gar nicht zu reden), aber die gehören mir, fast zur Gänze gefüllt mit dem Zeug, das nur ich lese (abgesehen vom unteren Drittel rechts, da stehen auch Tolkien, Pratchett und Moers, die lesen wir beide). Und dort stehen, neben vielen Science-Fiction Autoren, Werke von:

Clive Barker
Algernon Blackwood
William P. Blatty
Robert Bloch
Ray Bradbury
E.T.A. Hoffmann
T.E.D. Klein
H.P. Lovecraft
Arthur Machen
Richard Matheson
Joyce Carol Oates
Edgar Allan Poe
Bram Stoker
Peter Straub

und selbstverständlich ganz vorne: Stephen King.

Um nur die Wichtigsten zu nennen. Was für Namen. Was für SCHRIFTSTELLER, was für eine Ansammlung von demuterzwingender Qualität, mit zwei Ausnahmen allesamt in Pappeinbänden, denn sowas gab es seinerzeit nur als Taschenbuch. Dazu Anthologien mit Kurzgeschichten von zum Teil ebenso großartiger Qualität, und sie tragen Titel wie: „Angst“, „Horror“, „Unheimliches“ etc., etc., etc.

“ Horror… kann ich ja nicht… so blutig.“

Bin ich so verdammt alt? Bin ich wirklich Angehöriger einer verschwindenden Minderheit, die sich noch erinnert, dass all diese Namen einmal für „Horror“ standen? Offensichtlich. Als was gilt H.P. Lovecraft heute? Ist das ein „Mystery“ Autor? Und Clive Barker? „Fantasy“? Robert Bloch – „Krimi“? Stephen King – „Regio Maine“?

Meine Initialzündung als Schriftsteller bekam ich 1984. Ich war 13 und las gerne John Christopher, Mark Brandis, Michael Ende, Philip José Farmer und die klassischen Griechischen Sagen, Phantastische Literatur war damals schon meins, aber nicht ausschließlich – Jo Pestum und Agatha Christie zum Beispiel waren auch Favouriten, die Krimi-Saat war also ebenfalls ausgelegt. Und dann erwarb ich eines Tages eine Anthologie namens „Schattenlicht“** aus der Reihe „Twillight Zone“. Darin Kurzgeschichten von Autoren, deren Namen mir nichts sagten: „Stephen King“. „Ramsey Campbell“. „Thomas Disch“. „Robert Sheckley“. „Joyce Carol Oates.“ „Robert Bloch.“ „Richard Matheson“. „Peter Straub.“ „Edgar Allan Poe.“ Und noch ein paar andere. Nie gehört. Aber der Klappentext klang vielversprechend: „Wiege der modernen Horror-Literatur.“ „Die besten Stories prominenter Autoren.“ (Ich war, wie gesagt, erst 13, auf die typisch pubertäre Idee, dass ein Autor ja wohl nicht prominent sein kann, wenn ICH ihn nicht kenne kam ich erst so etwa ein Jahr später 😀 .) Und einen der Autoren kannte ich: Roald Dahl. Von dem besaß ich das Buch „Charlie und der große gläserne Fahrstuhl“, und das hatte mir ganz gut gefallen. Ich legte also die schwindelerregende Summe von Sechsmarkachtzig auf den Tisch, erwarb die Anthologie, las die erste Geschichte, „Travel“ von diesem King – und mein Schicksal war besiegelt.

Witzigerweise ist „Travel“ eigentlich klassische Science-Fiction: Die Geschichte spielt in der Zukunft und handelt – vordergründig – von einer fiktiven technischen Errungenschaft. Aber damals war der Begriff „Horror“ noch weit, so weit, wie es die Bedeutung des englischen Wortes erlaubt: „Horror“ bedeutet „Schrecken“ eine „Horror Story“ ist – mit dem schönen, nicht mehr gebräuchlichen deutschen Wort übersetzt, eine „Schauergeschichte.“ Und da gehört „Travel“ unbedingt rein, denn die Geschichte weckt einen entsetzlichen Schrecken, und wer bei dem Gedanken an das, was dort passiert, keinen Schauer empfindet, dem ist meiner Meinung nach in Sachen Phantasie nicht zu helfen. Und die Geschichte ist weitgehend unblutig, die beiden einzigen Toten darin – ein Mann und eine Maus – sterben an Herzinfarkten. Ganz am Ende gibt es einen überflüssigen Gore-Moment, aber den braucht die Geschichte nicht, er ist viel weniger schrecklich als der unblutige Schrecken.

Ich war begeistert. So etwas durfte man machen? Und je mehr Kurzgeschichten ich las, desto begeisterter wurde ich. So viele verschiedene Varianten des Genres Horror! So viele phantastische Ideen! Solche Ideen hatte ich auch. Und hier sah ich – man konnte das hinschreiben, man musste es gar nicht in die lyrischen Welten eines Michael Ende oder die Zukunftsvisionen eines John Christopher kleiden. Es ging einfach so! Und ich begann, Horrorkurzgeschichten zu schreiben…

Das war vor 28 Jahren. Damals begann „Horror“ gerade, aus der Schmuddelecke zu kommen, in die die Kulturbeutel das Genre permanent drücken wollten – und immer noch wollen. Stephen King war es, der dir Tür für uns alle öffnete, weit und weiter, der so lange großartige Bücher schrieb, bis auch die Mehrheit der Literaturbesserkenner die blöde Metapher von den Fliegen und dem Mist nicht mehr bringen konnte und zähneknirschend gestehen mußte, dass der Mann ein erstklassiger Autor ist. Ich selbst habe seither drei Romane veröffentlicht: Einen Krimi (Die Träumer), eine Endzeitgeschichte (Der Finder) und einen Horrorroman (Der Ruf). Der Krimi läuft gut. Die Endzeitgeschichte geht gerade richtig ab. Der Horrorroman… verkauft sich manchmal. Das mag damit zusammenhängen, dass es ein E-Book ist, und ich eben, wenn, dann vor allem als Print-Autor bekannt bin. Aber es ist ein gutes Buch, nicht schlechter als meine beiden anderen und tief in meiner eigenen Geschichte verwurzelt. Doch es ist eben eine Horrorgeschichte. Und ich mag sie nicht anders nennen, denn das würde ich als Verrat an dem Genre verstehen, dem ich letztlich alles verdanke. Nur – der Begriff „Horror“ ist heutzutage ein Kassengift. Denn alle erwarten nur noch BLUUUUUUUUUUUUUUT.

Warum eigentlich? Weil eine Liebesromanschrifstellerin hinterrücks die Vampire und Werwölfe gekapert und aus diesen dämonischen Halbwesen handzahme, glitzernde Kuschelchen gemacht hat – und dutzende Nachschreiber in ihrem Gefolge? Weil eine begnadete Jugendbuchschriftstellerin in ihren Werken Horror- und Fantasyelemente mischt und geradezu ein neues Genre kreiert hat? Weil die angeblich so horrortypischen Blutorgien heute in jedem dritten Krimi zu finden sind, man aber nicht das ganze Krimigenre als „Horror“ labeln kann (obwohl es bis heute Leute gibt, die zum Beispiel „Das Schweigen der Lämmer“ für einen Horrorfilm halten)? Ich weiß es nicht. Ich bedauere es nur – tun kann ich wohl nichts dagegen.

Warum schreibe ich das alles? Nun – ich stehe vor einem Verrat, dem Verrat, den ich beim „Ruf“ noch vermeiden konnte. Mein Verlag liest gerade einen Roman, den ich vor einiger Zeit schon geschrieben habe, und der mir sehr am Herzen liegt. Die Signale sind positiv – kann gut sein, dass er meine nächste Veröffentlichung wird. Ich habe diese Geschichte als Horrorgeschichte geschrieben. Sie hat ihre blutigen Momente, aber die sind eher krimitypisch blutig. Nichts, was zum Beispiel geübte Krimileser nicht gut verdauen könnten, niemand wird mit seinen Gedärmen erwürgt oder mit seinem Blut ertränkt oder so etwas. Ich habe echt schon Grausigeres gelesen. Nein – wenn man die Geschichte so mitdenkt, wie ich sie angedacht habe, dann ist der größere Schrecken doch im Kopf. Und es ist eine Geschichte mit starken übernatürlichen Elementen. Eine Geschichte mit großen Schrecken. Eine Schauergeschichte – a horror story.

Aber wir werden sie nicht so nennen. Denn wir – mein Verlag und ich – kennen nun einmal den Markt, und wir wollen Geschichten erzählen bzw. verkaufen, nicht missionieren. Und wenn wir „Horror“ draufschreiben werden viele Leute, denen der Roman gefallen könnte, garnicht erst zugreifen. Andere, die gerne bis zu den Knien in Blut und Gekröse waten möchten, zumindest virtuell, würden vielleicht doch zugreifen und enttäuscht sein. Also wird etwas anderes darauf stehen.

Aber ich bin nicht glücklich damit. Für mich ist „Horror“ immer noch dieses weite, reiche und unglaublich kreative Feld, das ich in den 80er Jahren betreten habe und auf dem sich alle tummeln durften, Clive Barker wie Arthur Machen, T.E.D. Klein wie Richard Matheson, selbst für einen John Saul war da Platz. Ich stehe, winzig klein, auf den Schultern von Giganten wie Stephen King und H.P. Lovecraft, und ich habe mich dorthin gestellt, als sie noch nicht schick waren sondern gerne mal verachtet wurden. Ich bin auch, war zuerst und werde weiter sein: Ein HORRORSCHRIFTSTELLER!

Vielleicht mache ich mir mal ein T-Shirt, auf dem das steht. 😉

*Man spricht das übrigens Szei-FI, nicht Szei-FEI, man sagt ja auch nicht Szeinz-Feiktschn, zum DONNER!!!

**Heyne, dritte Auflage, 1984 – findet Ihr heute nur noch gebraucht, natürlich. Ich habe mein Exemplar noch. 🙂

Über Mountfright

Autor und Öffentlichkeitsarbeiter, Mann und Vater, Leser und Filmfreak. Kindheit in den 1970ern, weswegen mich bis heute seltsame Musik mit Ohrwürmern plagt. Aufgewachsen in den 80er Jahren, einem Jahrzehnt, das nicht halb so grau war, wie die anderen glauben. Erste Kurzgeschichte mit 13, erster echter Romanversuch (nach pubertären Ausfällen) mit 17, die nachfolgende Schreibblockade habe ich mir mit Songtexten für die Kölner Psychobillyband "Boozehounds" vertrieben. Danach ging es wieder: Erster lesenswerter Roman mit 26, seither nicht mehr aufgehört.
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12 Antworten zu schreckenbergschreibt: Sag mir, wo der Horror ist.

  1. Sarah Wassermair schreibt:

    ” Horror… kann ich ja nicht… so blutig.”

    Falls es dich tröstet, ich hatte mal folgendes Gespräch mit einem Produzenten.
    ER: „Welches Genre hat das Buch denn?“
    ICH: „Komödie.“
    ER: „Komödie… mit Humor kann ich ja nicht so.“

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  2. DerSinn schreibt:

    *Man spricht das übrigens Szei-FI, nicht Szei-FEI, man sagt ja auch nicht Szeinz-Feiktschn, zum DONNER!!!

    Die Entrüstung teile ich! 🙂

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  3. Andy Simon schreibt:

    *Man spricht das übrigens Szei-FI, nicht Szei-FEI, man sagt ja auch nicht Szeinz-Feiktschn, zum DONNER!!!“
    Das stimmt zwar, aber EIGENTLICH sagt man Ess-Eff (Vorteil: geht sowohl deutsch wie englisch), denn Sci-Fi ist eher reserviert für Pulp-SF. Also wenn es nicht „Captain Future“, „Buck Rogers“ oder „Perry Rhodan“ ist: bitte „SF“!

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  7. Erik schreibt:

    In einem Kommentar bei Herrn Johanus haben sie das ganze noch besser zusammengefasst: „Horror ist nur noch das, was Leute, die normalerweise kein Horror lesen für Horror halten. Also Blut und Gekröse“

    Der Text spricht mir aus der Seele. Von Horror herrscht heutzutage ein völlig eindimensionales Bild, obwohl richtiger Horror vor allem etwas mit Atmosphäre und nicht mit Gekröse zu tun hat. Meine These dazu lautet, dass wir eigentlich zwischen „Horror“ und „Terror“ unterscheiden müssten, denn letzteres ist es, was viele Menschen fälschlicherweise für Horror halten.

    Ausführlich habe ich das in diesem Essay niedergeschrieben: http://elfenbeinbungalow.de/2013/02/22/horror-vs-terror/

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