schreckenbergliest: Myriane Angelowski – Der Werwolf von Köln

Bevor ich in die Kritik des nächsten Buches einsteige, muss ich Euch noch einmal auf die Regeln hinweisen, denen ich mich selbst unterworfen habe. Es könnte nämlich den regelmäßigen Verfolgern dieses Blogs auffallen, dass ich die Autorin – Myriane Angelowski – persönlich kenne und schätze. Das gilt auch für Volker Streiter, den Autor des zuletzt rezensierten Buches. Nur habe ich bei Volker eben gesagt, „Fressen ihn die Raben“ sei ein gutes, lesenswertes Buch. Myrianes Roman werde ich im Folgenden über die Maßen loben und preisen, und deshalb sei hier noch einmal deutlich gesagt:

ICH SCHREIBE KEINE GEFÄLLIGKEITSREZENSIONEN!

Was ich schreibe ist meine subjektive Wahrheit. Und das mir unbekannte Buch eines Autors oder einer Autorin zu öffnen, den/die ich kenne und mag, ist ein Wagnis. Es kann passieren, dass mir das Buch nicht gefällt – was mache ich denn dann? Nun – siehe Regeln. Es kann mir aber auch so etwas passieren, wie Myrianes „Der Werwolf von Köln„. Und dann muss ich eben… aber der Reihe nach:

Verlag und Autorin nennen es „Mystery Thriller“, und sie sind damit den schweren Weg gegangen, den ich auch gehen werde, aber seien wir ehrlich: Ich bespreche hier den Horror-Roman einer deutschen Autorin. Wie schön, für einen Horrorfan wie mich. 🙂

Inhalt

Im Prolog verschwindet ein Kind während einer Schnitzeljagd. Es ist ein Kinderferienlager, die Gruppenführerin passt nicht auf, die große Schwester ist mit Knutschen beschäftigt und abends fehlt ein Junge. Er ist einfach verschwunden. Dann beginnt die Haupthandlung, und ich sage bewusst „die Haupthandlung“, nicht „die HaupthandlungEN“ obwohl Buch zwei Handlungsstränge hat, die sehr deutlich getrennt sind, auch wenn es Verbindungen gibt oder zu geben scheint. Wie Myriane Angelowski diese Stränge aber dann am Ende zusammenführt das ist… aber zum Urteil später. Also – die Handlungsstränge:

Der eine spielt in der frühen Neuzeit*, beginnt 1565 und endet 1593. Zu Beginn verkauft ein junger Mann – Peter Stubbe – seine Seele dem Teufel und zum Schluss bezahlt er dafür, dazwischen verfolgen wir das Schicksal einiger Menschen, deren Leben er berührt und meist zerstört. Hier zu verkünden, dass Peter Stubbe am Ende stirbt ist kein Spoiler, Stubbe ist eine historische Figur. Ich rate Euch, sein Leben erst zu recherchieren, nachdem ihr den Roman gelesen habt, denn Myriane Angelowski spinnt um diesen historischen Fall eine gut und grausig erzählte Geschichte mit überraschenden Wendungen und Verbindungen. Spoilert Euch die nicht kaputt. Ich habe es auch nicht getan. 😉

Der andere Handlungsstrang verfolgt einige entscheidende Tage im Leben von Amanda, einer Kölner Schülerin im Hier und Jetzt. Zuerst erscheint Amanda als Klischeefigur: psychische Probleme, ritzt sich, Stress mit Mutter und Stiefvater… wie das eben so ist, wenn es bei einem sensiblen Mädchen mit Hang zum Düsteren schief läuft. Doch das Klischee ist eine Falle – eine gut gestellte Falle, denn wir glauben Klischees ja allzu gerne, nicht wahr? Amanda ihrerseits glaubt, auf dem Rückweg von einer Party jemanden überfahren zu haben. Und obwohl das ganz offensichtlich nicht wirklich passiert ist, nimmt die Vision sie dermaßen mit, dass ihre labile Psyche wieder auf der Kippe steht. Amanda bittet ihre Mutter – Irmelis – sie für einige Tage zu ihrer Tante Hedwig nach Bedburg ziehen zu lassen. Hier hat Amanda als Kind einige schöne Zeiten verbracht, hier will sie zur Ruhe kommen. Irmelis stimmt zu.

Gleichzeitig geschehen in und um Köln Morde in Serienkillermanier – so meint die Polizei. Wir aber erleben, was vor mehr als 400 Jahren in der selben Gegend geschah, sehen die Parallelen – und beginnen, uns ernsthafte Sorgen um Amanda zu machen, denn irgend etwas hat sie mit der Sache zu tun…

Urteil

Das letzte Buch, das ich in einem durchgelesen habe, ohne zu schlafen, an einem Tag und in einer Nacht, war „Es“ von Stephen King. Und das ist SEHR lange her, meine deutsche Ausgabe ist aus dem Jahre 1986. Das letzte Buch, das ich tief in der Nacht zur Seite legte, aus schmerzhafter Vernunft, denn ich hatte am nächsten Tag eine wichtige Recherche und eine lange Heimfahrt von Hamburg ins Rheinland vor mir, war „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“, von Joanne K. Rowling. Das letzte Buch, das mich so gefesselt hat, dass ich in jeder freien Minute zu ihm zurück wollte – und ich meine „Minute“, jeder Satz war mir Droge – war „Consider Phlebas“ von Iain M. Banks. Myriane Angelowski hat es geschafft, sich zumindest für dieses Buch (andere kenne ich von ihr noch nicht) bei mir in diese Liga zu spielen. An „Es“ reichte es nicht ganz heran – ich habe geschlafen – aber mit den anderen beiden ist „Der Werwolf von Köln“ auf einer Linie.

Dies ist eine sehr klug gesponnene und verwobene Horrorgeschichte, und ihre Heldin ist selbstverständlich Amanda. Die Geschichte aus dem 16. Jahrhundert ist Hintergrundinformation, aber eine großartig erzählte Hintergrundinformation mit dem Wert einer eigenen Geschichte oder besser – eigener Geschichten, denn es sind gut verbundene Episoden. In Wirklichkeit aber geht es eben um Amanda, um das, was mit ihr geschieht und warum es geschieht. Ich würde Euch SO gerne erzählen, warum ich diese Amanda-Geschichte so liebe, warum mir diese Figur so ans Herz gewachsen ist und warum dieses Buch – obwohl einerseits eine klassische Werwolferzählung – in Wirklichkeit doch eine ganz andere Horrorgeschichte ist. Aber ich kann es nicht, ich müßte spoilern.

Belassen wir es also hierbei: Der Werwolf von Köln hat mich gefesselt, die Geschichte hat mich – einen erfahrenen und gestandenen Horror-Kenner seit 30 Jahren – überrascht. Und zwar auf diese angenehme Weise überrascht, wenn man der Autorin permanent auf der Spur ist, vieles richtig ahnt und versteht und dann doch von der letzten Verbindung kalt erwischt wird – und dann die ganzen Schleifen und Kreise erkennt, die gut gepflanzten Andeutungen und all diese kleinen Stellen, die so wunderbar ineinander greifen. Da gibt es keinen Deus Ex und keinen faden Beigeschmack, da passt und stimmt alles, das macht einfach Spaß. Und der Epilog ist toll.

Die Geschichte ist sicherlich gut recherchiert, wahrscheinlich stimmt die historische Beschreibung Kölns und der Umgebung und man nannte das Bier damals wirklich „Gruit“ und alles, aber wisst Ihr was – das ist mir egal. 😀 Denn die Geschichte ist so gut, dass ich Myriane locker verzeihen würde, wenn sie den Rhein aufwärts fließen ließe. Ärgerliche historische Ungenauigkeiten – wie zum Beispiel Schätzings berühmte Tabakpfeife in „Tod und Teufel“ – habe ich nicht gefunden.

Eine tolles Buch. Jeder Horrorfan, jeder deutsche Horrorfan zumal, sollte es kennen. Und wer immer eine spannende, gut gestrickte Geschichte mag auch.

* Für Nichthistoriker: Das Mittelalter endete, nach den meisten Datierungen, 1492 als Columbus die neue Welt erreichte. Ein Ereignis, von dem die allermeisten Menschen seiner Zeit nichts bemerkten oder wussten und dass ihnen wohl auch herzlich egal gewesen wäre – aber so ist das nunmal mit der willkürlichen Einteilung von Epochen. 😉

Über Mountfright

Autor und Öffentlichkeitsarbeiter, Mann und Vater, Leser und Filmfreak. Kindheit in den 1970ern, weswegen mich bis heute seltsame Musik mit Ohrwürmern plagt. Aufgewachsen in den 80er Jahren, einem Jahrzehnt, das nicht halb so grau war, wie die anderen glauben. Erste Kurzgeschichte mit 13, erster echter Romanversuch (nach pubertären Ausfällen) mit 17, die nachfolgende Schreibblockade habe ich mir mit Songtexten für die Kölner Psychobillyband "Boozehounds" vertrieben. Danach ging es wieder: Erster lesenswerter Roman mit 26, seither nicht mehr aufgehört.
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4 Antworten zu schreckenbergliest: Myriane Angelowski – Der Werwolf von Köln

  1. Krimi und Co. schreibt:

    Kaufe ich sofort! 😀

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  2. Regina Schleheck schreibt:

    Ein tolles Buch, ja, das kann ich nur unterstreichen!

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  3. Pingback: The 12 days before Christmas: Tag 2 – Der Werwolf von Köln | schreckenbergschreibt

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