Schön dass Ihr wieder den Weg an mein Geschichtenfeuer gefunden habt. Nachdem ich Euch an den letzten Tagen so viel zugemutet habe, bin ich heute mal nicht so – und erzähle Euch von einem Traum:
Der Ruf – Teil 1, Hintergrund, Rechte
Der Ruf – Teil 2 Der Ruf – Teil 3 Der Ruf – Teil 4 Der Ruf – Teil 5
Der Ruf – Teil 6 Der Ruf – Teil 7 Der Ruf – Teil 8 Der Ruf – Teil 9
Der Ruf – Teil 10 (mit Gewinnspiel)
Der Ruf – Teil 11 Der Ruf – Teil 12 Der Ruf – Teil 13 Der Ruf – Teil 14
Der Ruf – Teil 15 Der Ruf – Teil 16 Der Ruf – Teil 17 Der Ruf – Teil 18
Der Ruf – Teil 19 Der Ruf – Teil 20 Der Ruf – Teil 21 Der Ruf – Teil 22
Der Ruf – Teil 23 Der Ruf – Teil 24 Der Ruf – Teil 25 Der Ruf – Teil 26
Der Ruf -Teil 27 Triggerwarnung: Suizid
Der Ruf – Teil 28 Der Ruf – Teil 29 Der Ruf – Teil 30 Der Ruf – Teil 31
Der Ruf – Teil 32 Der Ruf – Teil 33 Der Ruf – Teil 34
Der Ruf – Teil 35
Im Haus, gegen 1.30 Uhr
„In the night, no control
Through the wall, something’s breaking
Branigan.
Laura Branigan.
Sang.
Natürlich. Er war ja auf der Party. Die Revival Party, klar, Chris Geburtstag. Aber die Musik… das war eine andere Party… die 80er…
Philip schlug die Augen auf. Er war nicht im Haus, er war auch nicht im Garten, es war ein anderer Ort. Ein Saal, niedrige Decke, Dunkelheit durchbrochen von flackerndem Strobolicht, dass die Bewegungen der Tänzer im Raum zerhackte. Er sah Chris und Simon, Bastian und Maike, Martina, Michael, Khan…
Das konnte doch nicht sein…
Warum nicht?
Nun – Martina war doch tot, oder? Er hatte sie sterben sehen. Und Khan und Michael…
Aber nein, sie waren nicht tot, dort tanzten sie und im Flackerlicht sahen sie mal aus, als wären sie erwachsen und mal, als wären Jugendliche, und mal als wären sie…
Er erinnerte sich.
Die Revival Party? Ja… aber… was war mit der Musik
Laura Branigan …
Die Party bei Chris. Eine andere Party. Nach dem Abi. Eine dieser vielen Partys im Sommer, bevor sie sich getrennt hatten.
Die 80er-Party bei Chris.
Und Stephan und er waren betrunken gewesen. Und sie hatten geschworen…
Markus und Tanja kamen an ihm vorbei, Hand in Hand.
Das konnte doch auch nicht sein, oder?
Er sprach Tanja an.
„Wo sind wir?“
Sie lächelte. „Auf der Party.“
Er schüttelte den Kopf. „Nein, das kann nicht sein. Die Party…“
„Aber sieh Dich doch um“, sagte sie. „Hör doch!“
So I guess I’ll just believe it
That tomorrow never comes…“
„Dein Lied“, sagte Markus. „Ist das Dein Lied?“
„Nein, mein Lied ist…“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, mein Lied ist nicht aus den 80ern.“
Markus sah ihn streng an. „Dann darfst Du es nicht spielen. Wir spielen nur Lieder aus den 80ern.“
Philip nickte. „Ja. Ja, ich weiß.“
Tanja klopfte ihm auf die Schulter. „Vielleicht fällt Dir ja noch eins ein.“
„Ja vielleicht.“ Er dachte angestrengt nach. Er musste die beiden etwas fragen, etwas sehr Wichtiges. Dann erinnerte er sich.
„Seid Ihr nicht tot?“
Sie sahen sich einen Moment unsicher an.
„Vielleicht“, sagte Tanja. „Ist das wichtig?“
„Ich glaube schon.“
„Warum?“
„Weiß ich nicht. Vielleicht…“ Er überlegte angestrengt. „Vielleicht, weil es dann nicht wirklich sein kann?“
Markus lachte. „Es ist wirklich. Was könnte wirklicher sein?“
Philip schüttelte den Kopf. „Wo sind wir?“
„Auf der Party.“
„Nein. Nein, nicht so. So war es nie.“
„Jetzt schon“ sagte Markus. „Jetzt ist es so.“
Sie gingen weiter, Hand in Hand, und mit jedem Stroboblitz wurden sie jünger, fielen die Jahre von ihnen ab, kehrten sie zurück in die Zeit, als all sie alle jung gewesen waren.
„He!“, rief er ihnen hinterher.
Tanja drehte sich um. Ihr Teenagergesicht lächelte.
„Ja?“
„Was ist Euer Lied?“
Sie grinste, ein uraltes Grinsen in dem unwirklich jungen Gesicht.
„Das weißt Du doch.“ Ihre Stimme klang plötzlich so weit weg.
„Nein, welches?“
Im nächsten Blitz sah er ihr Gesicht, und es war nicht mehr jung und frisch, sondern aufgedunsen und tot. Dann wieder Dunkelheit und ein neuer Blitz und Tanja, die Dreißigjährige war wieder da, wie sie am Freitagnachmittag in den Garten gekommen war, wenige Stunden, bevor sie bei dem gemauerten Grill gestorben war. Sie lächelte ihn an, so traurig, mitleidig und wissend.
„We fade to grey“, sagte sie. Dann drehte sie sich um, zog Markus zur Tanzfläche und verschwamm mit den anderen Körpern im verwirrenden Wechsel aus Licht und Dunkelheit.
Britt war bei ihm.
„Du musst keine Angst haben“, sagte sie.
„Nicht?“
„Nein. Ich werde Dir helfen. Fürchte nichts.“
Sie gab ihm einen Kuss und ging in Richtung Tanzfläche. Sie humpelte. In der rechten Hand trug sie eine große Axt.
„Wirst mich retten“, murmelte Philip aus einer nebelhaften Erinnerung heraus.
Ganz in seiner Nähe, am Rande der Tänzer, wiegten sich Kat und Stephan, eng umschlungen. Sie versanken in einem Kuss, dann lösten sie sich voneinander, Kat ging von der Tanzfläche und verschwand in der Dunkelheit dahinter, Stephan kam zu ihm herüber. Sie standen eine Weile nebeneinander und sahen auf die Tanzfläche.
„Wo ist sie hingegangen?“, fragte Philip schließlich.
„Weiß nicht“, sagte Stephan. „Ist aber auch nicht so wichtig. Nach der Party sehe ich sie wieder. Dann bringe ich sie nach Hause.“
„Ja?“
„Ja.“
I’m living in the forest of a dream
I know the night is not as it would seem
Stephan lauschte versonnen.
„Wusstest Du,“ sagte er wie zu sich selbst, „dass Kat und ich auf dieses Lied zum ersten Mal miteinander getanzt haben?“
„So?“
„Ja, damals in der Jugendherberge. Erinnerst Du Dich?“
Philip erinnerte sich. Sie waren alle um die dreizehn gewesen. Stephan hatte es offenbar mehr bedeutet als ihm. Und Kat vielleicht auch. Aber das hier war nur zufällig das selbe Lied. Oder?
„Das ist nicht die Jugendherberge“, sagte er.
Stephan schüttelte den Kopf. „Richtig, das ist sie nicht. Eine andere Party. So viele Partys. So viele Lieder. Erinnerst Du Dich?“
„Dann ist das Euer Lied?“, fragte er.
„Was? Oh, nein, nein. Das ist nicht unser Lied. Es ist nur schön, nochmal darauf zu tanzen. Ist es Deins?“
„Nein. Welches ist denn Eures?“
Stephan überlegte eine Weile. „Ich weiß nicht. Wer weiß sowas schon?“
„Tanja wusste ihres.“
Stephan grinste wölfisch. „Ja, das ist klar.“
Sie standen wieder eine Weile schweigend nebeneinander.
„Erinnerst Du Dich?“, fragte Stephan noch einmal.
„Woran?“
„Das Lied. Chris‘ andere Party. Die 80er-Party. Du hast geschworen.“
„Ja, wir…“
„Freundschaft“, sagte Stephan ernst. „Erinnerst Du Dich?“
„Ja. Wir waren ziemlich voll oder? Du hast gesagt…“
Stephan sah ihn seltsam wissend an. „Voll oder nicht, wir haben es so gemeint. Jederzeit. An jedem Ort. Erinnerst Du Dich?“
„Klar.“ Philip fühlte sich unbehaglich. Ihm kam der Gedanke, dass das hier ja wohl ein Traum war. Und dass er jetzt gerne aufwachen würde.
„Das ist ein Traum, oder?“, fragte er.
„Ja“, sagte Stephan. „Aber ändert das etwas?“
Philip hatte das Gefühl, dass das durchaus etwas änderte, aber ihm fiel nicht ein, warum.
„Ich könnte Deine Hilfe brauchen“, sagte Stephan schließlich.
Philip wurde kalt. „Wobei?“
„Du könntest mir helfen, unser Problem zu lösen, alter Freund.“
„Welches?“
Stephan deutete auf die Tanzfläche. Philip schaute in die Richtung, die sein Freund wies. Hinter den Tänzern erkannte er nun ein großes Pult mit mehreren Plattenspielern. Christoph stand dahinter.
„Ich brauche Deine Hilfe, wenn das aufhören soll“, sagte Stephan. „Hilfst Du mir?“
„Sicher“, hörte Philip sich sagen. „Habe ich Dich je im Stich gelassen?“
Stephan grinste wieder. „Nein.“
Dann war er plötzlich fort und Philip blieb zurück, mit einem leeren Gefühl und der Ahnung, etwas falsch gemacht zu haben. Etwas Wichtiges.
Der Raum verschwamm und die Musik verblasste.
„Philip.“
Er durfte nicht vergessen. Es war etwas Wichtiges gewesen. Er musste…
„Philip.“
Er versuchte, die Erinnerung zu greifen, aber…
„Philip.“
Es war fort. Und nur die Musik blieb, nur die Musik. Fern und blass.
„Philip.“ Jemand strich über seine Wange und seine Stirn. „Himmel, Du bist ja völlig verschwitzt.“
„Heiß“, murmelte er. „War heiß, da. Alle haben getanzt…“
„Philip. Alles in Ordnung?“
Er schlug die Augen auf und sah in Britts besorgtes Gesicht.
„Wirst mich retten“, flüsterte er.
Sie streichelte ihn. „Ja, wovor auch immer.“
„Helfen…“
Sie küsste ihn. „Hattest Du einen schlimmen Traum?“
Er schüttelte den Kopf, setzte sich auf und zog sie in seine Arme.
„Nein“, sagte er. „Nein, nicht so schlimm.“
FORTSETZUNG FOLGT
Pingback: Der Ruf, Teil 30 | Der Guppy war's und nicht die Lerche
Pingback: schreckenbergschreibt: Quarantänegeschichte Nr. 61 – Der Ruf, Teil 36 | schreckenbergschreibt
Pingback: schreckenbergschreibt: Quarantänegeschichte Nr. 62 – Der Ruf, Teil 37 | schreckenbergschreibt
Pingback: schreckenbergschreibt: Quarantänegeschichte Nr. 63 – Der Ruf, Teil 38 | schreckenbergschreibt
Pingback: schreckenbergschreibt: Quarantänegeschichte Nr. 64 – Der Ruf, Teil 39 | schreckenbergschreibt
Pingback: schreckenbergschreibt: Quarantänegeschichte Nr. 65 – Der Ruf, Teil 40 | schreckenbergschreibt
Pingback: schreckenbergschreibt: Quarantänegeschichte Nr. 66 – Der Ruf, Teil 41 | schreckenbergschreibt
Pingback: schreckenbergschreibt: Quarantänegeschichte Nr. 67 – Der Ruf, Teil 42 | schreckenbergschreibt
Pingback: schreckenbergschreibt: Quarantänegeschichte Nr. 68 – Der Ruf, Teil 43 | schreckenbergschreibt
Pingback: schreckenbergschreibt: Quarantänegeschichte Nr. 69 – Der Ruf, Teil 44 | schreckenbergschreibt
Pingback: schreckenberschreibt: Quarantänegeschichte Nr. 70 – Der Ruf, Teil 45 | schreckenbergschreibt
Pingback: schreckenbergschreibt: Quarantänegeschichte Nr. 71 – Der Ruf, Teil 46 | schreckenbergschreibt
Pingback: schreckenbergschreibt: Quarantänegeschichte Nr. 72 – Der Ruf, Teil 47 | schreckenbergschreibt
Pingback: schreckenbergschreibt: Quarantänegeschichte Nr. 73 – Der Ruf, Teil 48 | schreckenbergschreibt
Pingback: schreckenbergschreibt: Quarantänegeschichte Nr. 74 – Der Ruf, Teil 49 | schreckenbergschreibt
Pingback: Quarantänegeschichte Nr. 75 – Der Ruf, Teil 50 | schreckenbergschreibt
Pingback: schreckenbergschreibt: Quarantänegeschichte Nr. 77 – Der Ruf, Teil 52 | schreckenbergschreibt
Pingback: schreckenbergschreibt: Das waren die Quarantänegeschichten | schreckenbergschreibt