schreckenbergschreibt: Quarantänegeschichte Nr. 33 – Der Ruf, Teil 8

Kommt ans Feuer, liebe Freundinnen und Freunde, ich erzähle Euch die Geschichte weiter. Freund*innen von Horror / Phantastik / Mystery kennen diesen Moment: Etwas läuft schon völlig falsch, aber die Figuren – oder die meisten davon – denken noch, dass alles in Ordnung ist und es für alles eine natürliche Erklärung gibt. Und als Autor möchte ich natürlich, dass meine Figuren in diesen Momenten nicht allzu doof aussehen, sondern dass diejenigen, denen ich die Geschichte erzähle, denken: Ja, an deren Stelle würde ich auch keinen Verdacht schöpfen. Entscheidet selbst… 😉

Der Ruf – Teil 1, Hintergrund, Rechte

Der Ruf – Teil 2

Der Ruf – Teil 3

Der Ruf – Teil 4

Der Ruf – Teil 5

Der Ruf – Teil 6

Der Ruf – Teil 7


Der Ruf – Teil 8

3

NACHT FÄLLT AUS DEN SCHATTEN DER DÄMMERUNG

Im Garten, gegen 21 Uhr.

„…und dann gab es einen Knall, oder…“ Philip sah hilflos erst Britt und dann Chris an. Sie schüttelten beide die Köpfe. „…oder einen Krach, keine Ahnung, und dann flog Christoph in die Ecke und Britt ist gegen den Tisch geknallt und hat sich beim Fallen den Arm aufgeschrammt.“

Britt betastete vorsichtig die Beule auf ihrer Stirn. „Alles gut“, sagte sie. „Kleine bleibenden Blessuren. Christoph ging’s echt schlechter.“

„Was ist denn mit Christoph?“, fragte Maike. Bastian und sie standen mit Britt, Philip und Chris am Grill. Die Vorräte schienen nicht nennenswert zu schrumpfen.

„Der hat wohl ’ne Gehirnerschütterung“, sagte Britt. „Liegt im Wohnzimmer und schont sich“

„Ist Christoph noch schlecht?“, fragte Justus.

Britt drehte sich um. Justus stand hinter ihnen, er war vom Garten her dazu gekommen.

„Nein“, sagte sie.

Justus wartete einen Moment, aber da sie es dabei beließ, wandte er sich an Chris: „Hast Du noch ein Würstchen?“

„Nein. Aber“, sie zeigte auf den Grill, „Putenbrust wird gerade fertig. Mit Currymarinade. Dauert nicht so lange.“

Justus nickte. „Okay. Ich warte.“

Dann herrschte Stille. Britt trat noch ein wenig näher an Philip heran, der abwechselnd von ihr zum Haus sah und dabei jeden Blickkontakt mit Justus mied. Justus selbst schien nur Augen für den Grill zu haben. Chris räusperte sich mehrmals, sagte aber nichts. Maike und Bastian sahen verwirrt in die Runde.

„Ja aber“, fragte Maike schließlich, „was ist denn jetzt wirklich passiert, da im Schuppen? Was habt Ihr da gemacht?“

Justus hustete, Britt schüttelte den Kopf. Philip interessierte sich scheinbar immer noch brennend für die Rückwand des Hauses. Chris warf den Dreien einen traurigen Blick zu und begann, es noch einmal zu erzählen. Sabine kam hinzu, während sie erzählte, wie Justus auf der Suche nach Grillfleisch.

„Ja, wie gesagt, es war so eine Séance.“ Sie lachte schief. „Wie früher immer, ich glaube, Du warst auch mal bei einer dabei, oder, Maike? Christoph war der Zeremonienmeister, hat viel Bohai gemacht, mit so einem alten Buch, dass er mitgebracht hat. Ich glaube, er glaubt wirklich an die ganze Sache. Na ja, jedenfalls hat er ziemlich gut gemacht, eine echt gruselige Atmosphäre verbreitet, oder?“

Britt nickte. „Kann man wohl sagen, ja.“

Sabine schnaubte. „Séance. Und wir haben uns gefragt, wo Ihr plötzlich alle seid. Habt Ihr wirklich in dem Schuppen gesessen und die Geister beschwört?“

„Beschworen, ja“, sagte Justus. „Und es war ein Spiel, Sabine. Im Memoriam alter Zeiten.“

Chris warf einen langen Blick auf ihre Freunde, „das wissen wir eben nicht. Das war alles so plötzlich und so ein Tumult. Es ging alles so schnell. Wir haben ganz verschiedene Theorien, von… äh… Dämpfen und Harz. Oder davon, dass es was mit der Beschwörungsformel zu tun hatte, weil…“

„Schwachsinn“, sagte Sabine. „Ihr habt einen Geist beschworen, der dann explodiert ist?“

„Nein“, sagte Chris. „Ich glaube ja auch nicht, das…“

Sabine winkte ab. „Lass mich in Frieden mit dem Esoterik-Kram, ja? Ist die Pute bald fertig?“

Philip, Britt und Justus sahen sich an, Philip schaffte ein halbes Grinsen.

„Geschichte wiederholt sich, was? Ich gehe jetzt mal ins Wohnzimmer und frage Christoph selbst.“

„Ich komme mit“, sagte Britt.

Im Wald, gegen 21 Uhr

Kat und Stephan standen am waldseitigen Ufer und schauten über den See. Von hier aus konnte man weder das Haus noch den Garten sehen, die Baumgruppe, die man auf dem Weg vom Garten zum See durchqueren musste, schirmte den Blick ab. Aber es würde nicht mehr lange dauern, dann würde die Dämmerung so tief sein, dass sie im Haus das Licht einschalten würde.

„Ich kann Chris mit den Fackeln gar nicht helfen“, sagte Kat.

Stephan, der tief in eigenen Gedanken auf den See geschaut hatte, sah sie an. „Was für Fackeln?“

„So Petroleumdinger. Ich habe ihr eigentlich versprochen, ihr damit zu helfen.“

„Wollen wir zurück gehen?“

Sie trat ihm vors Schienbein, zog gleichzeitig seinen Kopf zu sich hinunter und küsste ihn.

„Nein“, sagte sie dann.

Sie sahen wieder über den See, Kat lehnte sich an Stephan, er begann, sie zu streicheln.

„Hmmmmmm…“, machte sie. „Das bitte jetzt so drei bis fünf Stunden lang.“

Er lachte. „Dann ist es dunkel, und wir finden die Bucht bestimmt nicht mehr.“

Kat schmiegte sich an Stephan, küsste ihn wieder und löste sich dann von ihm.

„Ist ein Argument“, meinte sie.

Im Wohnzimmer, 21.15 Uhr

Das Sofa war leer. Auf dem Tisch stand der Teller, den Britt Christoph gebracht hatte. Das Kotelett hatte er ebenso gegessen wie den Kartoffelsalat, den Krautsalat schien er nicht angerührt zu haben. Philip sah sich erstaunt im Raum um.

„Christoph?“

Die Tür zur Küche stand offen, er ging hinüber und schaute hinein, aber auch dort sah er ihn nicht.

„Komisch.“

Britt zuckte mit den Schultern. „Ich finde, das ist ein gutes Zeichen. Wahrscheinlich fühlt er sich wirklich besser und ist zurück nach draußen gegangen.“

„Ja, aber dann hätten wir ihn doch gesehen.“

„Nein“, sagte sie, „nicht unbedingt. Wir standen am Grill, wir haben gequatscht, wir haben gegessen, dann hat Frank genervt…“

„Er hält Dich übrigens für das schärfste Gerät auf der Party“, sagte Philip grinsend.

„Bitte, was?!“

„Das schärfste Gerät auf der Party. Du. Hat Frank mir anvertraut, als Du Dir das Bier geholt hast.“

„Ah. Super. Und, was hast Du gesagt?“

„Dass ich Dich nicht für ein Gerät halte. Und dass er mal aufpassen soll, was er von sich gibt.“

„Der Idiot.“ Sie lachte, wurde aber gleich wieder ernst. „Aber zurück zu Christoph – er kann ganz leicht an uns vorbei gegangen sein.“

„Du machst Dir also keine Sorgen?“

„Nein, eigentlich nicht mehr. Vielleicht sollten wir eben mal gucken, wo er ist, und wie es ihm geht.“

Philip nickte. „Okay.“

In der Küche 21.15

Er stand hinter der Küchentür verborgen, Philip ging keine zehn Zentimeter an ihm vorbei und bemerkte ihn nicht.

Christoph hätte sich so gerne bemerkbar gemacht. Aber er konnte nicht. Er war weit, weit weg am falschen Ende des Fernglases, das Gespräch zwischen Britt und Philip hörte er gedämpft und leise. Sie sprachen über ihn. Über Frank, den Trottel. Und die Party. Sie wollten ihn suchen. Im Garten. Aber er war ja nicht im Garten. Er war ja hier, in diesem grausamen, dunklen Saal zu dem sein Körper geworden war. Christoph weinte still und tränenlos.

Der Körper aber setzte sich in Bewegung, zuckend und wackelig, aber lange nicht mehr so unsicher vorhin. Er kam hinter der Tür hervor, durchquerte das Wohnzimmer, taumelte durch den Flur und durch die Vordertür hinaus, zuckend und schlurfend um das Haus herum und in Richtung Wald.

FORTSETZUNG FOLGT

Über Mountfright

Autor und Öffentlichkeitsarbeiter, Mann und Vater, Leser und Filmfreak. Kindheit in den 1970ern, weswegen mich bis heute seltsame Musik mit Ohrwürmern plagt. Aufgewachsen in den 80er Jahren, einem Jahrzehnt, das nicht halb so grau war, wie die anderen glauben. Erste Kurzgeschichte mit 13, erster echter Romanversuch (nach pubertären Ausfällen) mit 17, die nachfolgende Schreibblockade habe ich mir mit Songtexten für die Kölner Psychobillyband "Boozehounds" vertrieben. Danach ging es wieder: Erster lesenswerter Roman mit 26, seither nicht mehr aufgehört.
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